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den mittelalterlichen Pfaden folgen hiess die. Kunst zu
immer grösserer Enge und Unfreiheit Verdannnen; denn
man durchmass ja den Weg, auf Welchem jene auf-
strebenden Kiinstler Vorwärts geschritten waren, nur im
Rückschreiteii. Dagegen zeugt nicht, dass die Ergeb-
nisse der klassischen Kunst in den wenigen Jahrzehnten
ihrer Herrschaft noch nicht die höchsten Frlrderungen
befriedigten, woran zum grossen Teil das hemmende Ver-
hängnis und der frühe Tod von Asmus Carstens die
Schuld tragen; die Keime, welche aufsprossen, waren
einer unendlichen Entfaltung' fähig, die Bahnen. auf denen
man schritt. kannten keine Grenzmarke, die zum Still-
stand gezwungen hätte. Und zum Beweise der Gesund-
heit und Kraft der herrschenden Grundsätze sei hier noch
auf (lasgeineinsame Werk G 0 ethe's und seiner Freunde
hingewiesen, in welchem das klassische Ideal den reinsten,
vollendeten Ausdruck gefunden hat: „YN'inckel1nann
u n d s e i n J a h r h u n d e r t womit unsere Darstellung,
zu ihrem rkusgangspunkt zurückkehrend, schliessen mag.
In dieser Schrift, welche ursprünglich nur ein Begleit-
wort zur Ausgabe lilinckelmanirscher Briefe sein sollte,
sich aber durch die gemeinsame Arbeit Goethe's, Heinrich
Meyer's und des Philologen Friedrich August Wolf, zu
einem umfassenden, an Stoff reichen, an Gedanken noch
reicheren KVerk ausbildete, entwarf Goethe in unvergäng'-
lichen lapidaren Zügen ein Bild von Aufgabe und Vfürde
klassischer Kunst. Von „den Alten. besonders den Griechen
in ihrer besten Zeit" sagt er: „Alle hielten sich am
Nächsten, Wahren, Wirklichen fest, und selbst ihre Phan-
tasiebilder haben Knochen und Mark. Der Mensch und
das illenscliliche wurden am wertlhesten geachtet, und
alle seine innern, seine äussern Verhältnisse zur Welt
mit so grossem Sinne dargestellt als angeschaut."
l'nd zur Kunst iibergehend: ,.Das letzte Produkt der
sich immer steigernden Natur ist der schöne Meilsch.
Zwar kann sie ihn nur selten hervorbringen, weil ihren
Ideen gar viele Bedingungen widerstreben Dagegen
tritt nun die Kunst ein, denn indem der Mensch auf