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Neunter
Abschnitt.
Sehens, wobei das Aeusserliche und einzeln Wirkliche
mehr oder Weniger unwesentlich wird?" In und mit
dem Aeusseren (las Inneren zu finden und darzustellen, war
Goethe's aus der Antike geschöpfte Kunstlehre. Ueber
den Zusammenhang der französischen und italienischen
hialerei mit den einseitig; aufgefassten und iortgebildeten
Lehren Münckelmannis hat Schlegel feine Bemerkungen.
die aber deutlich erkennen lassen, was er direkt _geg'en
(ioethe nicht aussprechen kann, dass er die ganze, dem
klassischen Ideal uachgebihlete Kunstrichtung für keine
glückliche halte. Um so mehr erhebt er den uns schon
bekannten Deutschen Schick, aber bezeichnenderweise
hauptsächlich um eines Bildes willen, das einen religiösen
Stoff behandelt. das Opfer Noahs Der Kritiker fasst es
nicht künstlerisch, sondern stotflich und tendenziös auf:
„Hier kommt auch einmal". schreibt der für seine Person
sehr irdisch gesinnte HlllllllGlSSCllWäTlllCl'. .,zur Erquickung;
des Gemüths die aus unseren heutigen Gemälden gänz-
lich versc-lnvundene Andacht wieder zum Vorschein. In
den Flngeln ist dieses Gefühl voll ätherischer Glut: in
den Menschen nach Massgabe des Alters und Geschlechts
inbrünstiger oder resignirter, ehrerbietiger- (ider kindlich
zutraulichei- die älteste dbchter wird von ernstereni
Entzücken gleichsam zum Himmel emporgehoben; die
Bluttei" betet ilemüthigq Noah nimmt mit entgegenge-
streckten i-Xrmen die himmlische Verheissung in Empfang:
Zu ihm wendet sich Gott Vater in äthnlicher Gestalt,
aber durch Grossheit der Formen und Majestät unter-
schieden. Die nach der Sitte der alten Maler bekleideten
Iilngel, von denen Gott Vater in lichtem Gedr'äng'e um-
schwebt wird, schweben wirklich, wozu man freilich kein
Modell sitzen oder stehen lassen kann." Hier sind Haupt-
züge der demnätslist aufkommenden Ku1ist-richtu11g' schon
charakteristisch angedeutet: die stoifliche Neignitg zum
Religiösen, das [Iebergeixficht der fromm-andächtigen
Stimmung über die künstlerische Phnpiindung; die Ver-
dammnis der nackten Körperformen der Antike, die Ver-
achtung' des Naturstiuliuins. Aber vergessen wir nicht,