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Abschnitt.
die Religion zu sprechen und Yerkündig-t, offenbar ohne
zu bemerken, dass er damit etwas von den tirundbe-
griffen seiner Lehre Völlig abweichendes ausspricht: "Das
Ideal (ler Schönheit, (las in der ICrscheinung Ausdruck
vollendeter Menschheit ist, „konnte nur durch religiöse
Beg'eisterung' der Einbildungskraft erzeugt werden." Ein
interessantes Zeugnis (lafür, wie der (Sreist unbewusst
den ihn umgebenden Einflüssen unterliegt! Hatten doch
'l'ieck's und Wackenrodens Kunstromane in Deutschland
die grösste Wirkung geübt, war doch Goethe mit seiner
Kunstlehre, besonders nach Schillers Tode ein verlassener
läediger in der Wüste, uns standen überhaupt die {Führer
der romantischen Schule, Tieck mit den beiden Schlegels,
als die anerkannten Lehrer des Geschmackes da! Auch
in Rom hatte der romantische Kreis in diesen Jahren
eine Clolonie gebildet. August Wilhelm Schlegel
wrar als Begleiter der "Madame Stael 1805 nach Rom ge-
kommen; er hatte dort die Schriftstellerin Sophie
Bernhardi geb. Tieck angetroffen; kurze Zeit hielt
sich bei ihr auch ihr Bruder Ludwig auf. Auch der
Bildhauer "Tieck, obgleich noch unter dem Einfluss
der klassischen Traditionen stehend, wurde durch die
verwandtschaftlichen Bande in diesen Kreis gezogen; er
führte damals im Auftrag der lfrau von Stael jenes so
bekannt gewordene Relief aus, welches sie vor der
Aschenurne ihres Vaters, desülinisters Necker, knieeud
zeigt. Der Aufenthalt dieser ronnintisch gestimmten
Gesellschaft dauerte nur kurze Zeit; aber er blieb nicht
ohne bedeutsame Nachwirkung: Ein dauerndes litte-
rarisches Denkmal stiftete er sich in dem offenen "Schreiben
über einige Arbeiten in Rom lebender Künstler", welches
Schlegel im Sommer 1805 an (Äloethe erliessf") Es ist
merkiviirdig, dass der romantische Wortführer gerade an
den unbeirrbaren Verehrer und Verkünder der Antike
seine Epistel richtete. Einerseits mochte das Hohn sein,
wie er aus einigen Stellen des Aufsatzes unverkennbar
spricht; man kann es nicht anders auffassen, wenn er dem
Dichter des Werther und Wilhelm Meister, der Iphigenie