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Neunter
Abschnitt.
Wer so in den 'l'rü1nmern zu lesen und aus ihnen
die hier gleichsam zu Stein gewordenen Ideen der Welt-
geschichte zu befreien wusste, den musste der elende
Zustand der Gegenwart gleichgiltig' lassen. Wir linden
nicht. dass Humboldt durch das traurige Loos von Stadt
und Land, welches manche andere Besucher damals so
tief erschütterte, in seiner Versenkung in die Grüsse Roms
gestört worden Ware. Ja er bekannte sogar: „Nur wenn
in Rom eine so göttliche Anarchie und um Rom eine so
himmlische Wüstenei ist, bleibt für die Schatten Platz.
deren einer mehr Werth ist, als dies ganze Geschlecht". 4')
Darin hätte Goethe vielleicht mit ihm übereinstimmen
können; aber trotzdem war seine Art, Rom aufzufassen
von der Humboldts so verschieden wie seine Xaturbe-
geisterung von Humboldts historischem Sinn. Er hatte
Rom und seine Umgebung mit Naivetät betrachtet, als
eine Statte unerschöpflichen Reichtums. trotz aller
menschlichen Vernachlässigung"; ll-Iumboltlt sah in ihm
ein ungeheures Trümmerfeld. Goethe war mit quellender,
überschwellender Freude erfüllt worden, Humboldt da-
gegen empfand. von Anfang an die „heroisch-elegische
Stimmung", welche Goethe erst unter dem Schmerz des
Abschieds überkam. Und so fand sich der Dichter in
Rom zum frischesten Schaffen angeregt und belebt. um
den Grossen nachzueifern, deren Werke auch im Kleriall
noch gross geblieben seien; der Denker und Forscher
fühlte angjesiclits des gewaltigen Eindrucks der Yergang-
lichkeit menschliches Arbeiten und Schalten als wertlos;
kein grosseres "Werk gelangte in Rom zur Austülir-ungj.
ja auch nur zu bestimmtem Entivurf; wie in einen
traumerischen Schlummer des Genusses. selbst genuss-
vollen Schmerzes versenkte ihn die ewige Stadt.
Aber nur für sein persönlichstes inneres Leben gilt
das; seine Rührigkeit nach Aussen, in Beziehung zu den
Menschen seiner [Tmgtibungy litt nicht darunter; Yer-
standnis und Förderung fanden sie bei ihm von Jahr
zu Jahr in immer reicherem Mass. Was die Künstler au-
geht, so waren es besonders drei, die er hochschatzte und