Einleitung.
IX
(Generationen gelebt hatten, überdrüssig geworden. In
jeder Sphäre kündigte sich der Drang; nach gediegenerer
wahrerer Erfassungr des Lebens, nach einer neue Na-hrung
und Kraft gebenden Speise des Geistes an. Man sehnte
sich „nach des Lebens Bächen, ach! nach des Lebens
Qtielle hin!" Es gab zwei Wege, auf denen dieser Drang'
zu erfüllen war. Man konnte entweder mit den bisherigen
Kulturformen gänzlich brechen und auf die eigene Vorzeit
zurückgehend nach den wiergrrabenen Schätzen nationalen
Lebens suchen und es hat in Deutschland wie in
England auch an solchen Bestrebungen nicht gefkahlt, oder
man konnte von den verbildeten Formen. deren man müde
war. bloss zu (leren gesunden und kraftvollen Urbildern,
zum klassischen Altertum, aufsteigen. Dieser zweite Weg,
welcher der naherliegeinle und einfachere war, hatte
nun freilich in strenger (lonsequenz zu dem Griechen-
tu 1n hinauffiiliren müssen, und er hat schliesslich auch
dahin geführt, obwohl erst zu einer Zeit, als die ganze
(Ülulturatmosphare sich schon Wieder verändert hatte.
Zunächst. aber war daran niccht zu denken; weder aussere
noch innere Gründe gestatteten es. Griechenland, in der
türkischen Sklaverei begraben, lag so weit ausser dem
Gesichtskreise wie Russland oder Persien; es war eine
Entdeckungsreise, wenn man eine Fahrt nach Griechen-
land wagte. Es existirten allerdings einige Nachzeich-
nungen nach den Skulpturen auf der Akropolis; aber sie
waren wenig bekannt und auch sehr ungenügend; von
den übrigen Knnstschatzen Griechenlands hatte man keine
ethnung". Aber auch wenn sie leichter zugeinglich gewesen
waren, hatte das damalige Geschlecht schwerlich die
Reife gehabt, sie nach ihrem Wert zu schätzen; der
Sprung wäre zu gross, die Forderung; zu hoch gewesen.
Wir sehen, wie schwer es wurde, die dorischen Tllempel von
Pästum anzuerkennen, obgleich man sehr wohl wusste,
dass man hier altgriechische Werke vor sich habe; wir
sehen, wie in der Plastik sich die Bewunderung haupt-
sächlich den Statuen des vatikanischen Belvedere zu-
wandte, dem Apoll und Laokoon, die von den Werken des