VIII
Einleitung.
glaubte in der französischen Tragödie die ebenbürtige
'l'0chter der antiken Poesie, in der Kunst von Versailles
die normale moderne Entwickelung der antiken Architektur
und Plastik erkennen zu dürfen. Man hatte nicht nötig;
zu den Quellen aufzusteigen, wo die Fluten des Flusses
selber so rein und ungetrübt schienen.
Und auch die kirchliche Würde Roms verlieh ihm
keine grössere Anziehungskraft. Nachdem die Religions-
kriege endlich aufgehört hatten und andere Probleme
das politische Leben zu bestimmen begannen, verminderte
sich auch die Hingabe der katholischen Völker an die
Stadt St. Peter's; die einzelnen Länder suchten auch in
kirchlicher Hinsicht möglichst sich selbst zu genügen und
von dem Papsttum abzusehen; zugleich machte sich um
die Wende des Jahrhunderts auch das Freidenkertum schon
recht fühlbar. Es entspratzhen auch die damaligen Päpste
ganz und gar diesen Zeitverhaltnissen. Wer die klugen.
mit spanischem Knebel- und Schnurrbart geschmückten
Physiognomien dieser römischen Prinzen auf St. Peter's
Stuhl betrachtet, dem drängt sich der Flindruck auf. dass
er nicht mehr ruhmliebelide Beschützer der Künste und
Wissenschaften und ebensowenig eifervolle oder gottinnigje
Häupter der Kirche vor sich hat, sondern blosse lokale
Machthaber, die an der Spitze der einheimischen Aristo-
kratie ihren Staat politisch regierten wie soviele gleich-
zeitige Fürsten Italiens ihre Territorien. U m (las Jahr 1700
war Rom nicht viel mehr als die Hauptstadt des Kirchen-
staats.
Wenn Wir nun zwei Menschenalter später diese
Stadt als einen Vilallfahrtsort uriederüntlen, zu dem jeder
sich sehnsuchtsvoll hindrängte, der mit den Besten seiner
Zeit leben und ihnen geuugtun wollte, so hat, dieser I'm-
schwung Weit weniger in Rom selbst seine Ursachen als
in der geistigen Entivickelung des Zeitalters und in dem
mächtigen Aufquellen des Gefühlslebens. Die grossen
(hiltiirnatioiien, Deutsche, Engländer, Franzosen, waren
der hergebrachten Formen und Convenienzen, noch mehr
des ganzen geistigen Horizonts, worunter sie seit einigen