zweiter Aufenthalt
Goethe's
1787-
Rom
1788.
95
wie die Bewegungen eines exercirenden Flügelmanns zu
den Bewegungen eines Soldaten in Reih und Glied."
Gewiss es war in Deutschland durch Winckelniann,
durch Lessing, ilurch manchen tüchtigen Archäologen viel
für die Erkenntnis der antiken Kunst schon geschehen,
aber noch sehr Wenig für die Kunst der Renaissance.
Ich brauche nicht zu sagen, dass Ramdohr über die vor-
rafaelischen Gemälde in der Sistina kein Wort verliert,
dass überhaupt das Quattrocento für ihn noch kaum
existirt. Aber auch ein Cinquecento: wie verkehrt. was
er über die Fresken der Caracci im Palazzo Farnese sagt:
dass sie die gefällige (Iomposition zu Ungunsten der Klar-
heit und Deutlichkeit der Gruppirung bevorzugen, während
gerade diese Bilder wahre Muster der malerischen Er-
zahlungskunst sind, wie dies Goethe und Heinrich Meyer
so trefflich nachgewiesen haben! In Einem aber ist auch
Ramdohr anzuerkennen, dass er jede Tendenz von der
Kunst fernzuhalten und für die Verbreitung des reinen,
ungetrübten Kunstsinnes zu wirken suchte. Die Nütz-
lichkeitsprediger waren abgetan, wenn selbst ein so nüch-
terner und gravitatischer Mann von ihnen nichts mehr
wissen wvollte. Die Bahn für den Gewinn wirklicher
Kunsteinsicht war frei, und auf dieser Bahn nun energisch
vorzudringen, war Goethe fest entschlossen. Als er mit
dem Gefühl unüberwindlichen Schmerzes von Rom Ab-
schied nahm, geschah es mit dem für sein ganzes ferneres
Leben entscheidenden Vorsatz, was er in Rom empfangen,
in der Heimat für das Vaterland, für die Welt weiter zu
entwickeln, und höher zu steigern, und zwar mit Hilfe
der Freunde, die er in Rom gewonnen.