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Fünfter
Ahsvhnitt.
Und hiemit wurde nun ein neues Licht von entscheiden-
der Bedeutung auf die gutgemeinten, aber nicht zur
Klarheit durchg'edru11geneu Sätze der bisherigren Kunst-
lehre geworfen. Dass der Künstler aus der Natur das
Schöne auswählen müsse, um es nachzualnnen, war eine
Hauptvorschriftn von Hengs und seinen Anhängwarn ge-
wesen; aber was eigentlich das Schöne sei, das war trotz
aller Versuche doch nicht klar anzugeben. (ioethe setzte
(lafür das Symbolischifypische, d. h. (lasjenige, was uns
hindnrcllschauen lässt aus dem hennnenden und, enrstellen-
den Zivang; des Einzelnen in das "vollkommene (iesetz
der Freiheit", welches sich ungeachtet, aller scheinbaren,
den Blick alltägiicih treibenden und verivirreinlell Hemm-
nisse unberührt in seiner Herrschaft, erhält. Moritz
war nun der Schüler, der dies besser auszudrücken wusste,
als der Meister selbst, dem die Fähigkeit systematischen
'l'heoretisirens abgieng. "Alles einzelne, hin und her in
der Natur zerstreute Schöne", sagt Moritz, „ist ja nur in
sofern schön, als sich dieser Inbegriff aller Verhältnisse
jenes grossen (Tianzen mehr oder weniger darin olienbart-ii.
Doch zu einer p r ak tisc h e n Verwertung' der gewonnenen
Erkenntnisse, zur Atufstlellung' von Normen, wonach der
Künstler bei Auffindung; und bei Nachbildung; des Schönen
zu verfahren habe, gelangte Moritz in seinem kurzen
Schriftchen nicht, und ware er auch nach seiner persön-
lichen läegetlvung wohl nicht sehr geeignet gewiesen. Da-
gegen liess Goethe, der im Allgemeinen die Bearbeitung
seines italischeil Gewinnes späterer Zeit überliess. schon
im Jahre 1788 in Wielands Qllerkur" einen kleinen Auf-
satz erscheinen, der ei11e glänzende Vereinigtnng von psy-
chologischer Beobachtung künstlerischen Fortschreitens
mit normativer Erkenntnis des Zieles darbot. waren
wenige Blätter, überschrieben: „Eint'ache Nachahmung;
der Natur, Manier, Stiltiu) Für die bildende Kunst sind
diese gedrängten Sätze ebenso klassisch wie Schilleris
blühende Abhandlung „[,'eber naive und sentimentalische
Dichtungm für die Poesie. Goethe findet, dass die Kunst
von der einfachen, Wahllosen Nachahmung ausgehe, dass