DER
STIL.
wir in einem früheren Abschnitt den Gesichtspunkt gefunden, wonach
eine Stilisierung mindestens nicht unangebracht ist, wenn sich das
Kunstwerk seinem Inhalt nach in einem solchen Grade über die ge-
meine Wirklichkeit erhebt, dass wir den durch dasselbe erzeugten Vor-
stellungen eine höhere, gewissermassen religiöse Bedeutung einräumen.
Dergestalt wirkt gebundene Rede und Musik im Drama und man mag
demnach den Freskenstil als den eigentlich monumentalen
Stil der Malerei betrachten. Bei Tafelbildern aber kann er in
keinem Fall gefordert werden.
Wir haben bisher die Technik, welche durch ein Material bedingt
ist, als eine einzige, keiner Veränderung unterworfene hingestellt.
Wenn dies nun auch seitens der künstlerischen Individualität bleibend
derFall ist, so müssen wir hier doch eine gewisse Berichtigung ein-
treten lassen. Es kommt nämlich vor, dass auf ein Material ver-
schiedene Proceduren Anwendung finden können, durch welche eine
mehr oder weniger vollkommene Bildwirkung erzielt wird. Diese
Anomalie einer objektiven Mehrseitigkeit der Technik bezw.
des Materialstils welche der subjektiven Manier gegenübersteht
beruht gewöhnlich auf der allmählichen Vervollkommnung der Werk-
zeuge und repräsentiert somit die verschiedenen Stufen der Ent-
wicklung eines technischen Verfahrens, welche prinzipiell
als gleichberechtigt angesehen werden müssen. Die primiti-
veren Formen lassen sich jedoch im Sinn einer absichtlichen Stilisierung
anwenden.
Unter der Voraussetzung, dass auf ein Material nur bestimmte
Werkzeuge oder dass diese nur in bestimmter Weise angewendet werden,
wird in vielen Fällen eine eigentümliche Veränderung des Bildes
verursacht, welche bei anderen Proceduren an demselben Werkstoff,
die diesem gleichwohl nicht zuwider sind, nicht eintreten würde;
der Künstler kann gewisse Eigentümlichkeiten des Materials geiiissent-
lich hervorkehren, oder er kann auf eine möglichst reine Bildwirkung
durch völlige Überwindung desselben ausgehen; er kann entweder das
Material als rein negativ behandeln oder dessen technischen Eigen-
schaften eine positive Wirkung einräumen. Jenes Verfahren entspricht
der naturgemässen Tendenz der nachahmenden Kunst; dieses ist die
strengere, weil stärker negativ wirkende Kunstweise. S0 steht die
Holzschnitttechnik der alten deutschen Meister, z. B. Dürers, in der
Neuzeit Alfred Rethels, der modernen aus England stammenden
Technik gegenüber. Wenn man die letztere Behandlungsart verwirft
und jene für die allein riChtige erklärt, so verkennt man, dass der