Volltext: System der Künste

A. NACHAHMUNG UND STIL; MEISTERSCHAFT; KLASSIZITÄT. 81 
von Teilen, durch ein schülerhaftes Nachschreiben des Vorwurfs, wie 
man es besonders bei Dilettanten findet, sondern organisch vom Grossen 
in's Kleine gehend hervorgebracht sei, wobei naturgemäss alles Klein- 
liche in Darstellung und Handhabung des Werkzeugs abgestreift wird. 
Dieses Weglassen des Unwesentlichen Endet man aber selbstver- 
ständlich auch bei Teniers oder Meissonier, Wo man doch nicht von 
"Rhythmus", "schwungvollen und erhabenen Formen" und dergl. reden 
kann, wie es Vischer thut. Vischer meint also etwas anderes: er denkt 
offenbar an die monumentalen Compositionen Rafaels. Er spricht auch 
aus, dass, was er Stil nennt, eine architektonische Compositions- 
weise seif) 
Von einem Stilgesetz, dessen Befolgung vom Meister als solchem 
gefordert werden dürfte (sodass andernfalls der Begriff der Meisterschaft 
aufgehoben wäre), kann hier nicht die Rede sein. Die monumentale 
Composition ist in der Hauptsache nichts anderes als eine idealistische 
Auswahl und Zusammenstellung der Gegenstände, also nicht eine be- 
sondere Darstellungsweise dieser Gegenstände selbstf) und der sie 
I) Moritz Carriere giebt (Ästh. I S. 600 ff.) eine Reihe von Bemerkungen 
über den Stil, welche gewiss manches Zutreffende enthalten, dem Leser aber un- 
möglich eine deutliche Vorstellung vom Inhalt des Stilbegriffs geben und aus dem- 
selben Grunde auch nicht kritisch angefasst werden können. 
2) Damit ist der eigentliche Irrtum in Fr. Vischers Ausführungen über den 
Stil gekennzeichnet. Vischer bezeichnet den monumentalen Stil als einzig voll- 
kommenen („Stil in einem absoluten Sinn"). Er hat also nach dem oben gesagten 
die Auswahl der Gegenstände in den Stilbegriff hereingenommen. Dies war dadurch 
begünstigt, dass man auch die organische Schönheit des Dargestellten mitunter im 
Sinne der kosmischen Kunst ebenfalls Stil nennt. Allein die Hereinnahme der 
Gegenstände ist nur üblich und möglich in dem relativen Begriff des 
Stils eines Künstlers, indem man dabei, wie schon berührt, an alles denkt, was 
dem Künstler individuell charakteristisch ist, also auch an die gewohnheitsmässige 
Auswahl der Gegenstände. Dass man dies thut, lässt sich eben nur dadurch recht- 
fertigen, dass man den Stilbegriff relativ nimmt. Aber die monumentale Behandlung 
eines bescheidenen Gegenstandes wäre ganz ebenso unpassend, wie die kleinliche 
Behandlung eines monumentalen. Insofern hat also Vischer nicht absoluten, sondern 
hohen relativen Stil definiert. In letzter Konsequenz würde, wenn man Wirklich 
die Auswahl der Gegenstände ein für allemal vorschreiben wollte, gerade nicht der 
allergeringste Spielraum für die Individualität mehr übrig bleiben, wie doch Vischer 
auch für seinen Stil im absoluten Sinn behauptet; die „obwoh1 innerhalb der Grenzen 
einer gewissen Auffassung mächtige und weite Subjektivität" wäre ganz unmöglich 
geworden. Diese vage Ausdrucksweise verrät schon die Unklarheit des Autors. 
Es giebt nur eine einzige Möglichkeit der Anerkennung verschiede- 
ner Künstler als Meister, wenn nämlich ihre relativen Stile in alle- 
dem übereinstimmen, was absoluter Stil ist. Der Stil aber ist nicht eine 
Alt, System der Künste. 6
	        
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