Volltext: System der Künste

DER 
STIL. 
an Werken der nachahmenden Künste kennen gelernt. Ehe wir weiter- 
gehen, wird es nützlich sein, uns noch den Inhalt des Stilbegriffs 
bei seiner Anwendung in der Architektur klar zu machen. 
In der Architektur bedeutet naturgemäss "Stil" gleichfalls das 
Verhalten nach einem einheitlichen Formprinzip. Der Stilbegriff schliesst 
dort auch das Merkmal des individuell Eigentümlichen in sich; Stil ist 
die architektonische Darstellungsweise, die Bauweise, bestimmter In- 
dividualitäten. Die schöpferischen Individualitäten sind aber nicht In- 
dividuen, sondern ganze Völker, ja Völkerkornplexe, und der Stil ist 
der Ausdruck ihres gemeinsamen Ethos; daneben wird, jedoch in ver- 
hältnismässig beschränktem Masse, die Individualität des einzelnen 
Architekten sich geltend machen. Die verschiedenen Baustile 
führen zu einer entsprechenden Stilisierung der zur Aus- 
schmückung eines von ihnen beherrschten Gebäudes heran- 
gezogenen Bilder, nach einem Gesetz der formellen Einheit 
des Kunstwerks, indem diese Bilder in erster Linie Orna- 
mente, Teile des Bauwerks sind und im Prinzipe nicht als Nach- 
ahmungen der Natur gewürdigt werden sollen, sondern als Raum- 
schmuck. Hierdurch erklärt sich die Entstehung und Erscheinung einer 
Reihe von Formen der willkürlichen Stilisierung. 
Die verschiedensten Stile (im relativen Sinn des Worts, subjektive 
Stile) sind auch hier denkbar und möglich. Objektiv zwingend ist 
ferner auch hier der Materialstil und er hat denselben verändernden 
Einfluss auf die Gestaltung einer architektonischen Kunstform wie auf 
die Bilder von Naturgegenständen. Den Nachweis dieses Verhält- 
nisses durch alle Werkstoffe und Prozeduren hindurch hat sich Semper 
in seinem Werk über den "Stil" zur Aufgabe gestellt. Er hat aber 
noch eine weitere Norm als zwingend für die technischen Kunstwerke 
angesehen und behandelt: den Zweck des Gebilds. Der Stil, welcher 
diesen beiden Normen folgt, kann als subjektiver Stil aufgefasst werden, 
weil andere denkbar sind, welche sie nicht befolgen. Im Sinne Sempefs 
aber bilden die beiden Normen das Gesetz, welches jede architekto- 
mische Leistung befolgen muss, um als tadellos zu erscheinen. Dadurch 
ist das Merkmal des Individuellen aufgehoben, und es handelt sich also 
um Stil in einem abSoluten, objektiven Sinn. Genau betrachtet 
ist das letztere der beiden Scmpefschen Stilprinzipien lediglich eine 
Anwendung der allgemeinen Schönheitsnorm, welche wir das organisch 
Schöne genannt haben, auf die Architektur. Daher sagt man auch 
in einem absoluten Sinn von einer schönen Naturerscheinung (einem 
organischen Körper, einem menschlichen Antlitz und dergl.), sie 
habe Stil. Dies kann aber auch im relativen Sinn irgend einer Ge-
	        
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