DER
STIL.
ästhetischen Gesichtspunkt gerechtfertigt oder erfordert sein kann.
iDiesem Zwecke dienen sowohl an einem beliebigen Material entstandene,
als auch willkürlich erfundene F ormschemata, oder endlich solche, die
in sogleich zu beschreibender Weise auf subjektiver Seite bei fremden
Individuen unwillkürlich entstanden sind. Dem Werke des Künstlers
kann nämlich zweitens auch abgesehen vom Materialstil gegen seinen
Willen der Stempel einer Stilisierung aufgedrückt sein, ein Fall, welcher
von höchster Wichtigkeit ist.
Die unwillkürlich entstandene Gleichartigkeit der Schöpfungen eines
künstlerischen Subjekts beruht auf dessen intensiver Neigung zu be-
stimmten Formen. Diese Neigung kann den Künstler dazu führen,
dass er innerhalb des Bereichs der objektiv möglichen Erscheinungen
immer wieder dieselben Dinge und Erscheinungsformen derselben
darstellt; oder aber sie besteht in einer höchst subjektiven Auf-
fassung der Naturerscheinungen. In beiden Fällen bezeichnet der
Stil das Verhältnis eines im Künstler wirkenden Ideals zu der Aussen-
welt, und dieses Ideal ist der Ausdruck des transscendentalen Wesens
der künstlerischen Individualität. In beiden Fällen ist das künstlerische
Individuum sich selbst gegenüber unfrei. Aber nur im letzteren äussert
sich die transscendentale Eigentümlichkeit stilisierend; denn in jenem
Fall ist alles, was im Bilde erscheint, der objektiven Natur entnommen,
n_ur in einer für das Subjekt charakteristischen Auswahl der darge-
stellten Gegenstände und ihrer Erscheinungsbedingungen; hier dagegen
erscheint die Unfreiheit und Gebundenheit des Künstlers am Kunstwerk
in der Art, dass das Bild gegenüber dem Naturgegenstand alteriert ist,
dass sich also die naturgemässe Absicht desselben als ganz oder teil-
weise vereitelt erweist. Die erstere Art des subjektiven Stils lässt sich
z. B. durch Rembrandt illustrieren, welcher einen ihm ganz eigentüm-
lichen, aber objektiv möglichen Beleuchtungseffekt darzustellen pflegte.
Von Stilisierung ist dabei nichts zu bemerken; wir sprechen jedoch von
"Stil," weil es sich um eine individuelle Eigentümlichkeit des Künstlers
handelt. Beispiele für den die Natur alterierenden subjektiven Stil bieten
dagegen die Darstellungsweisen der byzantinischen Maler, der japanesen,
Chinesen u. s. w. Die transscendentale Eigentümlichkeit letzterer Art
kann man in verschiedenen Fällen wieder aus verschiedenen Entstehungs-
gründen erklären; allein hierüber lassen sich natürlich nur Vermutungen
äussern und keine Beweise führen.
Man könnte z. B. annehmen, dass die byzantinische Darstellungs-
weise auf positiver künstlerischer Unfähigkeit beruhte, indem die Künstler
zuerst zu konventionellen Formen ihre Zuflucht nahmen, Weil sie zu
einer naturgemässen Darstellung nicht befähigt waren, und indem sodann