DER
STIL.
nicht selbst angehört. Daher tritt notwendig im Gefolge des Stil-
begriffs derjenige des Stilisierens auf, d. i. derjenige einer einheit-
liehen Veränderung des Naturgegenstands bei seiner Darstellung in
einem Kunstgebilde.
Das Wort Stil wird ferner noch gebraucht, um den Inbegriff
aller zwingenden Normen der Darstellung in einer bestimm-
ten Kunstart zu bezeichnen. Das Merkmal des Individuellen fällt
hier ganz fort, denn Gesetze der Darstellung sind in allen Fällen gleich
und dulden keine verschiedene Behandlung, und dasjenige der Ein-
heitlichkeit der Formen ist hier kein wesentliches mehr. jedoch bilden
beide die Brücke zwischen den vorgenannten Verwendungen des Wortes
Stil und der hier vorliegenden: das Individuelle, indem die Kunstweise
eines Meisters sich von derjenigen anderer Künstler eben dadurch unter-
scheiden kann, dass er die zwingenden Normen seiner Kunst befolgt,
jene aber nicht; und die Einheitlichkeit, indem allerdings die Normen
der handwerklichen Prozedur, (der Materialstil), ein einheitliches Form-
princip für das Kunstwerk bedingen. Man spricht im vorliegenden
Fall auch vom "Stilgesetz" der Malerei, der Skulptur, der lyrischen
Dichtkunst u. s. w. Dasselbe umfasst alle technischen Gesetze, nach
welchen eine Kunst ihre Gebilde hervorbringen und für die Betrachter
zur Erscheinung bringen muss, also das Lessing'sche Gesetz der Dar-
stellungsformen von Poesie und bildender Kunst nicht minder wie die
Gesetze des Materialstils und endlich das Gesetz, wonach eine Kunstart
sich auf dasjenige Schöne zu richten hat, worin sie ihre eigentümliche
Kraft entfaltet (qualitatives Stilgesetz).
Der Umstand, dass ein Bild seinem natürlichen Vorwurf gegen-
über als stilisiert erscheint, kann nach dem Gesagten auf verschiedene
Ursachen zurückgeführt werden; und zwar können wir objektive und"
subjektive Ursachen unterscheiden; die Stilisierung kann ferner durch
ein absichtliches Thun des Künstlers oder ohne dass er sich dessen
bewusst war entstanden sein.
Die objektive Ursache einer Stilisierung ist das Material. Daraus,
dass das Bild als physischer Körper von objektivem Bestand sein,
in vielen Fällen sogar als Monument bestehen bleiben soll, ergibt
sich ein praktisches Gesetz der Wahrhaftigkeit in der Bearbeitung des
Materials behufs Erzeugung des Bildes, wonach die Prozedur den Be-
dingungen des gewählten Bildstoffs entsprechen muss. Jedes Kunstwerk
muss diese Eigenschaft haben; aber nicht jedes wird darum als stilisiert
erscheinen. Wenn sich nämlich ein Material findet, welches ohne Rest
in der beabsichtigten Vorstellung aufgeht, so bleibt auch nirgends die
Erscheinung einer andern Materie übrig, als welche dem nachgeahmten