Volltext: System der Künste

DIE EINZELNEN ERSCHEINUNGSFORMEN DER FORMELLEN SCHÖNI-IEIT. 
deckten Farben abgiebt. Nach SemperI) beherrschten zwei F arben- 
tonarten die gesamte antike Chromatik. Die eine hatte zur Basis das 
Iodmetall, „wie dieser prachtvolle Färbestoff durch die verschiedenen 
Organismen des Meers auf mannichfaltigste aber natürlichste Weise 
nüanciert und zum Theil in die entgegengesetztesten Farben in Rot, 
Gelb undiBlau umgearbeitet wird, die aber alle durch einen und den- 
selben wunderbar milden aber zugleich tiefen und austeren F amilien: 
zug verbunden sind." „Die zweite grosse Gattung der Färberei ist die 
vegetabilische. Die Farben behielten dabei ihren Naturton und man 
hütete sich, aus den natürlichen Produkten den abstrakten F ärbestoff 
herauszudestillieren." So erklärt sich die Schwierigkeit des Verhält- 
nisses der modernen chemischen Farbenindustrie zu Kunst- und Kunst- 
gewerbe: gerade die grössten Erfolge der ersteren haben der letzteren- 
einen sicheren Halt geraubt, welchen sie früher hatte. Es ist notwendig, 
sich dessen bewusst zu sein. 
Brückez) äussert die Ansicht, dass bei den Farben gar kein so 
strenger Unterschied zwischen Konsonanz und Dissonanz existiere als 
etwa bei den Tönen der Musik. Man wird dem beipflichten. Von 
vornherein ist schon die blosse Thatsache, dass Farbe erscheint, er- 
freulich und im allgemeinen jede Farbe erwünscht, im Gegensatz zur 
traurigen Öde der F arblosigkeit. An sich nicht harmonierende Farben 
aber lassen sich um so leichter vereinigen, je geringer ihre Intensität 
ist, je mehr sie in das Gebiet der Zwischentöne gehören, kurz, je 
weniger bestimmt ausgesprochen sie sind. Daher spielen in den 
Färbungen der künstlerisch verarbeiteten Materien die braunen und 
gemischten Farbentöne als Vermittler eine hochwichtige Rolle. Man 
kann dies vielleicht darauf zurückführen, dass das überwiegende Grau 
oder Braun ihnen zu einer Art von merochromer Verwandtschaft ver- 
hilft, wie z. B. in den Farben der Herbstlandschaft; zum Teil mag 
auch die subjektive Kontrastbildung leichter in's Spiel treten. Die 
zu weit getriebene Anwendung solcher Kombinationen gefährdet jedoch 
den gesunden Farbensinn  eine Bemerkung, welche wir, nachdem 
unsere Koloristen den patinösen Tönen zu so grossem Erfolg verholfen 
haben, in letzter Zeit 'bisweilen machen können. 
Die Regeln der F arbenästhetik haben nach den geschehenen Be- 
trachtungen nur einen sehr primitiven Wert, kaum mehr als denjenigen, 
gewisse Anhaltspunkte für das Gedächtnis abzugeben. Grösseren Wert 
lege ich auch der oben aufgestellten negativen Regel nicht bei. 
Ausführung 
I) Vergl. dessen hochinteressante 
2) A. a. O. S. 7. 
58 a.
	        
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