Volltext: System der Künste

DIE EINZELNEN ERSCHEINUNGSFORMEN DER FORMELLEN SCHÖNHEIT. 
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bei beliebigen anderen Zusammenstellungen der Fall ist. Wie aber, 
wenn unser Auge durch diesen erhöhten Glanz gerade verletzt würde? 
Wenn es ihn nur ertragen würde bei geringerer Lichtstärke oder 
Sättigung? Einzelne haben deshalb die Komplementarität gerade 
zurückgewiesen und in der That findet sich bei sehr lichtstarken Kom- 
plementen eine gewisse Grellheit und flirrender Glanz. Natürlich darf 
dabei nicht an entnervte Augen, sondern nur an kräftige, normale 
gedacht werden. Daher muss man sich meines Erachtens eingestehen, 
dass die physiologische Erscheinung der Komplementarität 
nicht zu einem Gesetz der künstlerischen Praxis erhoben 
werden kannf) 
Vermutlich waren es die vorgetragenen Bedenken, welche Hirth 
zu dem Versuche veranlassten, die Komplementaiität näher zu be- 
stimmen. Ausgehend von dem Umstand, dass das Weiss, welches wir 
sehen, nur 57 mal heller ist, als das Schwarz, dass also eigentlich nur 
eine gewisse Strecke auf der unendlichen Skala von Ultra-Schwarz 
bis Ultra-Weiss unserem Auge als Farbe fassbar ist, verlangt Hirth 
(a. a. O. S. 95 ff), dass sich die Werte der beiden Farben mit Rück- 
sicht auf eine Skala von ihrer hellsten zur dunkelsten Erscheinung auf 
57 ergänzen, dass also zu Rosa nicht das entsprechende hellgrün des 
gleichen Kreises auf der F arbenkugel stimme, sondern ein durch Sub- 
traktion von den 57 Teilen zwischen YVeiss und Schwarz gefundenes 
Dunkelgrün. Indessen hat, da weisses oder graues Licht immer neutral 
bleibt, also an der Komplementarität nichts ändern kann, jede Farbe 
unendlich viele Komplemente. Hirth fügt also nur zum F arbenkontrast 
einen weiteren hinzu; soviel ist jedoch sicher, dass auf diesem Wege 
äusserst reizvolle Zusammenstellungen gefunden werden. Aber gleich 
dunkles Rot und Grün, gleich helles Rot und Blau ist zweifellos auch 
schön; man denke nur an helle Rokkokodekorationen. 
Vielleicht wäre es besser, zu untersuchen, welche Zusammen- 
stellungen hässlich, als, welche schön sind; denn die erträglichen sind 
entschieden in der Mehrzahl. Um die bezeichnete Frage zu ent- 
scheiden, bedarf es noch der Berücksichtigung derjenigen Zusammen- 
stellungen, welche nicht als kontrastierende, im Sinn der Komplemen- 
L 
1) Brücke a. a. O. S. 180 ist derselben Ansicht. Dieselbe kann aber m. E. 
nicht oft genug ausgesprochen werden, weil die Komplementaritätsregel immer noch 
grosse Verwirrungen anrichtet, zumal in der falschen sprachlichen Bezeichnung der 
Farben. Übrigens könnte es ja immerhin sein, dass die Theorie richtig und nur 
Wegen ihrer vielfachen Komplikatiünen für die Praxis unbrauchbar wäre. Vergl. 
dazu Brücke, S. 205, auch S. 46, 134-
	        
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