DIE SCHÖNHEIT.
eines Raumes die Färbung je nach dem Grade der Sättigung und
Intensität der verwendeten Farben gleichwertig sein. Wir haben
nun zu fragen, welche Farben und Farbenzusamrnenstellungen schön
sind, und welche nicht.
Man bemüht sich seit längerer Zeit, dafür, dass gewisse Farben-
zusammenstellungen schön sind, andere dagegen nicht, ein allgemeines
Gesetz aufzufinden. Die Grundlage hiefür muss naturgemäss
die Physiologie liefern; denn sie belehrt uns über" die Art und
Weise," auf welche überhaupt eine Farbwirkung zu Stande kommt;
die Aufstellung eines Schönheitsgesetzes ist dagegen nicht
ihre Sache, und man muss ein solches von einer etwaigen physio-
logischen Erklärung scharf unterscheiden. Das Verhältnis der physi-
kalischen und der ästhetischen Thatsachen ist nun aber immer noch
sehr problematisch, so grosse Erfolge die Naturwissenschaften auch
auf diesem Gebiet zu verzeichnen haben, und hier liegt der Grund,
warum gewisse physikalische Irrtümer auf ästhetischer Seite noch nicht
ganz verschwunden sind und immer wieder aufgegriffen werden. Dess-
halb erfreuen sich auch die von Semper (a. a. O. S8 I4, 56, Anm. 4
zu S I7) vorgetragenen Ansichten immer noch einer grossen Geltung,
obgleich die physikalischen Theoreme Field's, auf welchen sie beruhen,
längst als irrige widerlegt sind. Für uns besteht die Aufgabe, einen
Kanon aufzustellen und soweit zu begründen, als dies mit den vor-
handenen Mitteln möglich ist; und dazu ist die Bestimmung seines
Verhältnisses zu den physiologischen Thatsachen erfordert?)
Die schöne Wirkung von F arbenzusammenstellungen könnte be-
ruhen auf der Einstimmigkeit der verwendeten Farben oder
auf ihrer Entgegensetzung. Als konträr entgegengesetzt sind zu
I) Die umfassendste Auskunft über unsere Frage giebt E. Brücke's „Physi0-
logie der Farben, für die Zwecke der Kunstgewerbe bearbeitet" (Leipzig 1866).
Diese Arbeit wird wohl die gründlichste und wertvollste bleiben, welche wir be-
sitzen, solange nicht umwälzende Neuentdeckungen seitens der Physiologie gemacht
werden. Für praktische Zwecke hat neuerdings Dr. G. Hirth in seiner Publikation
"Das deutsche Zimmer der Renaissance" etc. (München 1886, S. 72 ff.) die ästhe-
tische Farbenlehre einem grösseren Publikum in anregendster WVeise zugänglich
gemacht. Physiologisches Hauptwerk ist das "Handbuch der physiologischen Optik",
Leipzig 1867, von Helmholtz. Ob daneben dem "Neuen Versuch zur Erklärung der
Entstehung und Natur der Farben" von Dr. Max Schasler (Virchow-HoltzendoriTsche
Sammlung von Vorträgen, XVIII. Serie, Berlin 1883) irgend welcher Wert beizu-
messen ist, muss der Kritik der Physiologen überlassen bleiben. Dass aus ästheti-
schen Gesichtspunkten gewisse Ansichten Goethe's u. A., welche als überwunden
gelten müssen, manchmal immer noch plausibel erscheinen, mag den Verfasser zu
seiner Arbeit veranlasst haben.