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n. DIE SCHÖNHEIT.
Linien in einer Erscheinung von Naturgegenständen, weil erstere die
einheitlichen Linien, welchen das Auge folgt, zerbrechen, letztere das
Bild zerschneiden. Beim Wegfallen dieser Wirkungen sind sie also
auch zulässig. Eine einzelne Linie, welche erscheint, kann allmählich
die Form und das Prinzip, welches ihrer Bewegung ursprünglich zu
Grunde lag, ganz verändern; aber sie kann es nicht plötzlich und
sprungweise, ohne das Auge zu beleidigen.
Raumkomposition.
Liegt dem Auge ein bestimmter geometrischer Raum vor, so er-
giebt sich schon aus dieser Thatsache das für seine Erfüllung mit
kleineren Erscheinungen massgebende Gesetz: Der Raum muss in
seiner gegebenen Form erhalten bleiben, dieselbe darf nicht durch
hinzutretende Erscheinungen gestört werden. Der Forderung wird in
einfachster Weise genügt, wenn der Raum in allen Teilen gleich-
mässig angefüllt ist. Dies ist die allgemeinste Erscheinung des
Gesetzes der Komposition in den Raum. Eine ungleichmässige
Komposition würde im Umriss des eingeordneten Gegenstandes einen
neuen Raum schaffen, der mit dem ursprünglich gegebenen zusammen
ordnungslose Lücken hervorbringen und die zu Grunde liegende Ein-
heit zerstören würde. Ein Raum erscheint bei vollkommener Er-
füllung desselben als richtungslose Fläche. Die Komposition in
den Raum kann aber auch eine weniger einfache, eine zentralisierte
sein. Dabei muss die Achse oder das Centrum des ursprünglichen
Raumes und dasjenige der raumerfüllenden Erscheinung stets zu-
sammenfallen. Z. B. ein kleines Quadrat stehe in einem grösseren
so, dass die Kreuzungspunkte der Diagonalen sich decken (wodurch
die Konture parallel laufen); oder: das Centrum eines Kreises falle
zusammen mit dem Kreuzungspunkt der Diagonalen eines Quadrates.
Wird sodann der Kreis sternförmig gezackt, so erhebt sich zum ersten
Mal das Gefühl einer in dem Raume thätigen Bewegung und einer
Richtung derselben; dieselbe wird hier jedoch durch das gleichzeitige
Bestehen ihrer Umkehrung wieder aufgehoben: Die Richtung liegt in
der zu der Peripherie hin stattfindenden Bewegung der Zacken; aber
eine solche kann auch umgekehrt, von aussen nach innen, verstanden
werden. Die Notwendigkeit des Auftretens einer einseitig
bestimmten Richtiung setzt stets einen ideellen Begriff vor-
aus, welcher sie veranlasst. Und da ein weiteres Gesetz für sie nicht
vorliegt, ist sie überhaupt keine Erscheinung der formellen Schönheit.
Es empfiehlt sich jedoch, sie hier zu berühren, weil sie im Gefolge