SPEZXFISCH SCHÖNE DER EINZELNEN KUNSTARTEN.
DAS
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Das Drama bringt als eigentümliches Schöne den sittlichen Effekt
des Verlaufes dargestellter Handlungen hervor, während dies einer
bildenden Kunst nicht möglich ist; denn sie kann nicht den Verlauf
einer Begebenheit zum Gegenstande haben, sondern nur Momente von
Begebenheiten oder Situationen. I) Das eigentlich Dramatische da-
gegen besteht darin, dass gerade durch den Vorgang einer Hand-
lun g auf die Empfindungen der Beschauer eingewirkt wird. Das dra-
matische aber ist dem Drama nicht ausschliesslich eigentümlich,
sondern erscheint auch in Werken "der bildenden Kunst, z. B. im farne-
sischen Stier, in der Laokoongruppe, in Defreggefs „Heimkehr der
Sieger" u. dergl, weil es in einer momentanen Situation auftreten kann.
Theoretisch betrachtet muss naturgemäss die höchste Leistung
der Kunst diejenige sein, welche in jedem Gebiete des Schönen, wel-
ches der dargestellte Gegenstand überhaupt berührt, vollkommen ist.
sagt Rumohr (a. a. O. S. 146), "alle Arten der Schönheit in
einem Gegenstande sich vereinigen, ein Fall, der schon den schön-
gesinnten Alten mehr wünschenswert als durchhin erreichbar zu seyn
schien, da würde ohne Zweifel ein ausnehmend Schönes entstehen".
Allein „wollten wir etwa da, wo eben nur sinnliche Annehmlichkeiten
vorhanden, zugleich auch die Anregung edler und erhebender Vor-
stellungen des Geistes begehren, oder bey diesen letzteren wiederum
1) Bei Betrachtung eines XVerkes der bildenden Kunst kann also prinzipiell der
Verlauf der Handlung, von welchem jenes eine Begebenheit darstellt, nicht in Be-
tracht kommen. Deshalb wird zunächst nur über die bildnerische, nicht aber über
eine ethische Schönheit oder Hässlichkeit zu urteilen sein. So betrachten wir den
Rafael zugeschriebenen Teppichkarton, darstellend den Kindermord von Bethlehem,
ganz auf seine bildnerische Schönheit hin, ohne uns im Geringsten durch ethische
Erwägungen stören zu lassen. Dass hier etwas schlechthin Verwerfliches dargestellt
Wäre, könnten wir nur aus dem Verlauf der Handlung erfahren. Das Leiden der
Mütter könnte aber auch tragisch gerechtfertigt sein. Deshalb dürfen wir streng-
genommen nicht einen Verlauf supponieren, von welchem wir aus dem Bilde nichts
erfahren. Jedoch können wir uns von dem ethischen Affekt, der durch den Anblick
einer Handlung hervorgebracht wird, eben nicht losmachen, und dann steht in sol-
Chen Fällen wenigstens in dieser Beziehung etwas Hässliches vor unseren Augen.
Der Anblick einer Marter ohne bekannten tragischen Grund wirkt an sich verletzend,
und dieser Eindruck kann durch keine Kunstfertigkeit verwischt werden. Wenn nun
aber gar der Maler auch nicht auf das Schöne der räumlichen Erscheinung ausge-
gangen wäre, so bliebe jenes Verletzende allein übrig, und die darin liegende Ab-
SiChtlichkeit wirkt dann empörend. Indessen ist es hier sehr schwer, von all-
gemeinen Regeln aus das Richtige zu treffen; die gesunde Empfindung wird uns im
einzelnen Falle richtig urteilen lassen. Die Urteile H. Fischers (a. a. O. S. 80 ff.)
halte ich nicht durchweg für zutreffend und muss ihm gegenüber betonen, dass die
Bedeutung der bildnerischen Schönheit doch allemal weit überwiegt.