B. DAS SPEZIFISCH SCHÖNE DER EINZELNEN KUNSTARTEN. 41
schöner Körper widmen, nicht aber umfangreichen Kompositionen von
wesentlich perspektivischer Zusammenwirkung, weil hierin die Malerei
ihr durchaus überlegen ist und der Schwerpunkt der Betrachtung nicht
mehr im Plastischen liegt.
Die gerechtfertigte Forderung, dass eine Kunst in derjenigen Be-
Ziehung wirken soll, in welcher sie schön zu wirken besonders geeignet
ist, kann man passend mit Vischer als „qualitatives Stilgesetz" der-
selben bezeichnen. Aber man darf diese Forderung nicht etwa dahin
umkehren, dass eine andere Wirkung, welche doch der hervorbringenden
Kunst im einzelnen Falle zugänglich ist, unzulässig sei. S0 z. B. ist
der Maler auch in der Lage, poetisch zu wirken, wenngleich er nur
momentane Situationen darstellen kann. Man kann ferner annehmen,
dass die antike Malerei einen vorzugsweise plastischen Charakter hatte;
daraus erwächst ihr jedoch kein Tadel, weil die Malerei auch für die
Darstellung der Körper wohl geeignet ist!)
Falsch ist es, wenn mit einer Kunstart gerade in einer solchen
Richtung gewirkt werden soll, welche ihr gar nicht zugänglich ist,
oder wenn vorzugsweise in einer Beziehung gewirkt wird, welche ihr
nur ausnahmsweise oder in untergeordnetem Masse zugänglich ist.
Hierher gehört das Lessing'sche Gesetz, wonach die Poesie Schilde-
rungen räumlicher Erscheinungen vermeiden soll. Maler, welche, in-
dem sie vorwiegend das Plastische darstellen, das Malerische vernach-
lässigen oder ganz aufgeben, oder welche das letztere thun, weil es
ihnen auf den Ausdruck von Gedanken ankommt, richten ihre Kunst
und die Schönheit zu Grunde, zumal der Ausdruck von Gedanken der-
Selben überhaupt nicht unmittelbar oder in grösserem Umfange mög-
lich ist. Jene beiden Umstände, die Tendenz auf das plastisch Schöne
und die Tendenz auf den Gedanken, wirkten zusammen, um in der
ersten Hälfte unseres Jahrhunderts den Karton als das höchste und
ausschliessliche Ziel der Malerei erscheinen zu lassen. Aber diese ihre
Bestrebungen sind als verkehrte gekennzeichnet. Die gepriesensten
Künstler jener Periode waren schlechterdings unfähig, für eine farbige
Ausführung zu komponieren, weil die Komposition einer Umrisszeich-
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I) Wenn Rumohr (a. a. O. III S. 13) sagt: „Die Unvereinbarkeit eines bild-
Ilerisch vollendeten Umrisses mit malerischem Reize stellt sich in den Beispielen
vieler neueren, besonders der französischen Schulen, auch denen S811!" aIISCIIQ-llliflh
vor den Sinn, welche in den Stylgesetzen der einzelnen Kunstarten Verschiedenheiten
nicht einräumen wollen" so bezieht sich dies eben nur auf den "bildnerisch voll-
endeten Umriss", nicht aber auf das malerisch dargestellte organisch oder plastisch
Schöne überhaupt. Rumohr meint die figürlichen Darstellungen von David und Mengs.