DIE VERSCHIEDENEN BEZIEHUNGEN DER SCHÖNHEIT.
35
können wir auch aus Elementen, welche ihrerseits empirische sind und
sein müssen, neue Organismen erzeugenF)
Wenn das Gefühl für die organische Schönheit in einem unmittel-
baren Empfinden der Zweckmässigkeit besteht, so ist einleuchtend,
dass es beim Betrachter geknüpft ist an seine Zugehörigkeit zur Ge-
meinschaft der gleichartigen Organismen d. h. zur Gattung. Daher
beurteilen wir aus ihm mit vollkommenster Klarheit nur die mensch-
liche Gestalt. Zunächst sodann diejenige der höheren Säugetiere,_ bis
es gegenüber niederen Organismen ganz erlischt. In demselben Grade.
in welchem das organisch Schöne hier an Bedeutung verliert, kommt
eine andere Schönheitsbeziehung zur Wirkung, welche wir nunmehr
zu besprechen haben.
c. Die blass formelle Schönheit.
Alle sinnlich wahrzunehmende Schönheit ist, um in den Geist ein-
zutreten, gezwungen, die Pforten dieser Wahrnehmung, die Sinne, zu
passieren. Die Eindrücke, welche sinnlich oder überhaupt ohne Rück-
sicht auf zu Grunde liegende geistige Vorstellungen gefällig
Wirken, bezeichnen wir ebenfalls als "schön", die unangenehmen als
nhässlich". Daher rechtfertigt sich für das in Rede stehende weitere
Gebiet des Schönen die Bezeichnung: formelle Schönheit. Denn
dieselbe besteht in der blossen Form; bezüglich der Lineamente und
Massenverteilung ohne Rücksicht darauf, ob die Form einen Menschen,
eine Baurngruppe oder ein Haus umschliesst, bezüglich der Farben,
0b deren Zusammenstellung auf einem Teppich oder in einem Land-
Schaftsbilde in Frage steht, ob endlich in der Musik durch eine Ton-
fülge diese oder jene Empfindung erweckt und zur Darstellung ge-
bracht wirdß)
1) Dies gegen Rumohr. Daher kann man sagen, dass sich in der" Gattung
Wenigstens „idealisieren" lasse, während die Idealisierung der Gattung selbst ebenso
"unvermeidlich" ein „widriges Schminken und Beschönigen" (Rumohr) ist, wie die
Idealisierung eines Individuums. Doch verstehe man mich nicht falsch. Wir würden
Ulme Zweifel einen Fehlschluss machen, wenn wir annehmen wollten, den lebenden
Menschen sei zur Zeit der Antike Schönheit ebenso allgemein gewesen, wie ihren
Plastischen Kunstwerken. Daraus erwächst ihr jedoch kein Vorwurf, sowenig wie
Deffegger daraus, dass er Schönheit und Anmut doch weit häufiger dargestellt hat,
als Sie bei den Tyroler Bauern vorkommt. Das Gesetz der Identität erstreckt sich
immer nur auf das einzelne Bild. Die Gattung wäre erst idealisiert, wenn jene
SChönheit gar nicht vorkäme.
2) Die formelle Schönheit scheint bei der Beurteilung des menschlichen Ant-
htZCS eine grössere Rolle zu spielen, als die organische. YVas das "Oval" anbelangt,
so entscheidet über dessen Schönheit die Regelmässigkeit der dasselbe umschreiben-
den Kurve, über die Schönheit Lage derNSinneswerkzeuge aber die Proportion.
.3 IV 3'"