DIE VERSCHIEDENEN BEZlEI-IUNGEN DER SCHÖNHEIT.
begriff entspricht, zusammen. Aber auch nur das organisch Schöne,
und alle anderen Beziehungen der Schönheit haben mit der
platonischen Idee gar nichts zu schaffen. Der wahre Grund
dieses Zusamxnenfallens ist allein der, dass auch die Be-
griffe, welche Gattungen bezeichnen, auf deren Zweck be-
gründet sind. I) Der Begriff "Mann" oder "Weib" z. B. entscheidet
nur dadurch über die Schönheit, dass er den absoluten Zweck der
Geschlechter bezeichnet.
Es erhebt sich nun die Frage, wie es denn möglich sei, dass wir
verschiedene Individuen derselben Gattung organisch schön finden, ob-
gleich es innerhalb einer Gattung (d. h. also bei Voraussetzung der-
selben Existenzzwecke) nur eine einzige Vorstellung vollkommener
Zweckmassigkeit giebt.
Zuerst kommt dabei in Betracht, dass wir schon zufrieden sein
dürfen und sind, wenn die organische Schönheit auch nur annähernd
erreicht ist. Was ihr fehlt, das wird teils ersetzt durch den Ausdruck
seelischer Schönheiten, teils durch den Stil, d. h. eine Gesetzmässigkeit
der Formen, Welche in jedem Falle wenigstens das Schönheitsmoment
der Einheit erbringt; im "Antlitz hat ausserdem das Individuelle einen
weiten Spielraum, weil hier das organisch Schöne nicht die hervor-
ragende Bedeutung hat, wie im Körper. Damit haben wir objektive
Abweichungen von der Idee und Änderungen an derselben zugegeben.
Es giebt aber ausserdem Abweichungen von der Idee, welche als
subjektive bezeichnet werden müssen; es sind diejenigen, welche unter
dem Einfluss des subjektiven Ideals entstehen oder vielmehr dieses
selbst darstellen. So anerkennen wir z. B. ein germanisches Schön-
heitsideal des Weibes neben dem griechischen (welches freilich äusserst
wenig Abweichungen von dem letzteren und wohl nur objektiv zu-
lässige von der Idee zeigt).
Soviel, was die Gattungsidee selbst betnfft. Es ist einleuchtend,
dass die Kombination der abweichenden Bestandteile die Möglichkeit
einer ziemlich grossen Anzahl von verschiedenen schönen Individuen
in einer und derselben Gattung eröffnet. Von so weitgehender Schärfe
und so stabil ist das Gefühl für die objektive und absolute Zweck-
rnässigkeit auch bei dem F einfühligsten unter uns nicht, dass wir nicht
solche Differenzen gestatten müssten; und bei jedem wird schliesslich
ein Rest der subjektiven, transscendentalen Idee in die objektive Idee
hereinspielen, zumal wir auch das Interesse der Abwechslung haben?)
1) Kant sagt: „Der Zweck ist Begriff einer Sache, insofern dieser zugleich den
Grund ihrer Wirklichkeit in sich trägt." (Einleitung IV, Abs. 4 a. a. Q).
2) Das organisch Schöne beherrscht im Wesentlichen nur den Körper, im