B. DIE AUS DER THATSACHE DER NACHAHMUNG FOLGENDEN KUNSTPRINZIPIEN.
Der ästhetische Genuss gegenüber einer Erscheinung besteht freilich
in reiner Anschauung, in einer blossen Betrachtung derselben. Die
eigentümliche Befriedigung geht hervor aus der Anschauung blosser
Vorstellungen, für welche das Bild oder der Naturgegenstand nur ein
objektives Substrat abgiebtß)
Die Nachahmung eines Gegenstandes in seinem ganzen Umfang
wird nun aber zu einem Aussehen gelangen können, als wenn der
Künstler dabei beabsichtigt hätte, den Beschauer über die Nichtwirk-
lichkeit des Bildes zu täuschen. Bei den bildenden Künsten, insbeson-
1) Der Satz, dass der Kunstgenuss in blosser Anschauung bestehe, ist an sich
gewiss einfach und beinahe selbstverständlich. Aber zu einer deutlichen Betonung
desselben gab, wie ich glaube, erst die Polychromie der Skulptur Veranlassung. Für
mein Teil bin ich bei der vorhin zitierten Untersuchung dieser Frage von der Lehre
Schopenhauers ausgegangen, wo jener Satz infolge der Bedeutung des Willens
in Schopenhauers System eine hervorragende Stellung einnehmen musste. Denn der
Wille als das auf realen Besitz gerichtete Begehren darf nicht beteiligt sein, wenn
es sich um eine reine Anschauung handelt. Kant hatte gesagt, dass das Wesen
des ästhetischen Genusses in einem „interesselosen YVohlgefallen" bestehe. Indessen
nehmen wir an der blossen Vorstellung als solcher doch ein Interesse und wir be-
urteilen auch ästhetisch mit Rücksicht auf reale Zwecke: nur auf die Wirklichkeit
der Erscheinung kommt es überall nicht an, an ihr nehmen wir kein Interesse. Dass
in der ästhetischen Betrachtung nicht alle Beziehungen auf den Willen wegfallen,
sondern eben nur das reale Begehren des Subjektes, habe ich in der angeführten
Arbeit (S. lff.) dargelegt. Schiller aber war der erste, der die Richtung des
ästhetischen Urteils auf die blosse Erscheinung klar erfasste. In einem Brief „über
die ästhetische Erziehung des Menschen" (26) sagt er folgendes: „Nur, soweit er
aufrichtig ist (sich von allem Anspruch auf Realität ausdrücklich
10Ssagt)," „ist der Schein ästhetisch." "Übrigens ist es gar nicht
nötig, dass der Gegenstand, an dem wir den schönen Schein finden,
Ohne Realität sei, wenn nur unser Urteil darüber auf diese Realität keine
Rücksicht nimmt: Denn, soweit es diese Rücksicht nimmt, ist es kein ästhetisches.
Eine lebende weibliche Schönheit wird uns freilich ebenso gut und noch ein wenig
besser als eine ebenso schöne bloss gemalte gefallen; aber, insoweit sie uns besser gefällt
als die letztere, gefällt sie nicht mehr als selbständiger Schein, gefällt sie nicht mehr
dem reinen ästhetischen Gefühl: diesem darf auch das Lebendige nur als Erscheinung,
auch das NVirkliche nur als Idee gefallen; aber freilich erfordert es noch einen un-
gleich höheren Grad der schönen Kultur, in dem Lebendigen selbst nur den reinen
Schein zu empünden, als, das Leben an dem Schein zu entbehren. Bei welchem
einzelnen Menschen oder ganzen Volk man den aufrichtigen und selbständigen Schein
findet, da darf man auf Geist und Geschmack und jede damit verwandte Trefflichkeit
Schliessen." „Zum falschen und bedürftigen Schein nimmt nur die Unmacht und
die Verkehrtheit ihre Zuflucht, und einzelne Menschen sowohl als ganze Völker.
Welche entweder der Realität durch den Schein oder dem (ästhetischen) Schein durch
Realität nachhelfen," Beides ist gern verbunden beweisen zugleich ihren mo-
Talischen Unwert und ihr ästhetisches Unvermögen." Trelfender und klarer, als es
hlör geschehen ist, kann der Sachverhalt nicht dargelegt werden.