DIE
REDEKUNST.
l. es IE Werke der Redekunst haben mit denjenigen der Archi-
y tektur die Eigenschaft gemein, dass sie einen praktischen
Dienst leisten und dass ihre Zweckmässigkeit für denselben
5 ihre Schönheit bestimmt. Es wäre aber falsch, wenn man
deshalb der Beredsamkeit die Eigenschaft als Kunst absprechen wollte,
weil sie so augenscheinlich nach Zweckmässigkeit arbeitet; denn ihre
Zwecke sind eben ästhetisch eine blosse Voraussetzung, während das
Wohlgefallen an ihnen darum nicht interessiert sein muss oder darf.
Auch bei der Rede bildet der jeweilige äussere Zweck die kon-
krete Idee. Sie ist ferner nach dem Urteil hervorragender Theoretiker
der Beredsamkeit ein Organismus!) jedoch wird man hier nicht in
demselben Sinn von innerer Zweckmassigkeit sprechen können, wie
bei den mechanisch funktionierenden Bestandteilen der Artefakte; aber
die logisch klare Sonderung und richtige Anordnung ihrer Bestandteile
ist die allen Reden gemeinsame und für alle gleiche Bedingung ihrer
Schönheit. Hinreissender Schwung und Reichtum der Phantasie wird
durch solche Ordnung nicht erbracht, sondern ist derselben nur unter-
worfen; dagegen liegt alles Schöne, was dadurch erzeugt werden
kann, im Stoff der Rede selbst und in den Beziehungen, welche der-
selbe einzugehen fähig ist, sodass die Beherrschung des Stoffes und
das Gefühl für die zweckmässige Auswahl seiner Beziehungen die
hauptsächlichste Voraussetzung der künstlerischen Rede ist. Das le-
bendige Gefühl wird durch die Kenntnis dieses Verhältnisses praktisch
gewiss nie ganz ersetzt, aber doch jedenfalls unterstützt werden. Des-
I) Vergl. Heinrich B a. s s e rm a nn,
Stuttgart 1885, S. 113.
„Handbuch
der
geistlichen
Beredsamkeit",