SCHLUSS.
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vergangenen Zeit, Welche wenig Ähnlichkeit mit der unsrigen hat,
Die Ordnungen der Griechen waren im Prinzipe gleich und deshalb
vereinbar; nicht dasselbe gilt von ihnen und der Gotik. Dieselbe an-
gewandt auf Häuser ist strenggenomrnen gar keine Gotik mehr, son-
dern gotische Verzierung. Nur das idealistische Bauprinzip gewährt
volle Freiheit zur Lösung beliebiger Aufgaben. Daher wird eine
Kulturepoche, deren Lebensthätigkeit eine allseitig entwickelte, harmo-
nische und freie ist, schwerlich je einen anderen als diesen Stil be-
nutzen, welchen wir den klassischen nennen können. Damit lässt sich
die Thatsache vergleichen, dass das Recht bei allen Kulturvölkern der
Neuzeit im grossen ganzen dieselbe Gestalt annehmen musste, welche
die Hochkultur der Römer auf griechischen Grundlagen erstmals zur
Reife gebracht hat. Nunmehr haben wir einen höheren Standpunkt
gewonnen, von welchem aus die Klage darüber, dass wir in ausgetre-
tenen Geleisen wandeln müssten, als ungerechtfertigt erscheint. Es
wäre sinnlos, von jeder neuen Generation zu verlangen, dass sie sich
eine eigene Sprache bilde. Der Baustil, wegen dessen am meisten
gegen die klassische Bauweise gestritten wird, ist uns gar nicht natio-
naleigentümlich, er steht uns nicht näher, als jeder andere. Neu
können aber immer noch sein die individuellen Leistungen,
für welche ein unbegrenzter Schatz von konkreten Ideen
bereit liegt. Wir sind dabei keineswegs gehalten, die historischen
Baustile in sklavischer Nachahmung ihrer Werke nach ihrem subjek-
tiven Prinzipe („stilgerecht" im subjektiven Sinn) zu handhaben, son-
dern es handelt sich darum, dieselben mit Meisterschaft dem idealisti-
schen Prinzipe der Baukunst unterzuordnen. So tritt an die Stelle
des unfreien der freie Eklektizismus. Genau in derselben Weise sind
die Griechen mit den Baustilen verfahren, welche sie vorfanden, nur
dass es sich damals noch umldie Bildung der allgemeinen Formen-
sprache handelte. Die moderne Architektur ist dagegen in ein Gebiet
getreten, welches den Griechen, die über den Ausdruck der abstrakten
Idee nicht weit hinauskamen, verschlossen war. Was kann die Er-
findung neuer Baustile wiegen gegen den Reichtum an Aufgaben,
welcher sich hier erschliesst, gegen die unbegrenzte Fülle der Gelegen-
heit, eine souveräne Meisterschaft in harmonischen Schöpfungen zu
bethätigen? Es giebt keinen geschichtlichen Stil, welchen wir uns
nicht so zu Nutze machen könnten; die Gotik wird sich dabei freilich
am sprödesten verhalten. Dem Barock- und Rococostil ist sie inner-
lich so fremd, dass auch die äusserlichste Verbindung blosser Orna-
mente beider Art unser Gefühl verletzt. Diese Stile haben teilweise
eine symbolisierende Eigenschaft, in welcher man dieselben zum Aus-