Volltext: System der Künste

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DIE 
ARCHITEKTUR. 
die Praxis in diesem einzelnen Fall entschuldigen, wie denn überhaupt 
Bernini von seiner perspektivischen Meisterschaft einen im ganzen 
vernünftigen Gebrauch machte und durch dieselbe mit dem Platze vor 
S. Peter einen Erfolg erzielte, auf welchen man schwerlich verzichten 
möchte. I) Aber das Verfahren ist im Prinzipe verwerflich und be- 
zeichnet den Gipfel der ästhetischen Verirrung jener Zeit. 
Es gab nun noch eine Möglichkeit einer prinzipiell neuen Behand- 
lungsweise der Architektur, wenn man nämlich die Idee und die 
ihr entsprechenden Formen ganz aufgab. Dieser Schritt 
wurde gethan im Rococostil, indem man an jene Gebilde der 
Architektur anknüpfte, wo der rohe Fels in ihre Struktur eingedrungen 
war. Die Bewegung ging nach Gurlitt vom Kunstgewerbe aus und 
erscheint ihm lediglich als eine spätere Spielart des Barock. Sie ist 
letzteres dadurch, dass man der Rococodekoration immer wieder die 
struktiven Formen des Barockstils zur Unterlage gab und geben 
musste. Denn in der That war es unmöglich, mit dieser Gestaltungs- 
weise über die bescheidenen Verhältnisse kunstgewerblicher Gebilde 
erheblich hinauszukommen. Die rein statische Werkform des Hauses 
gestattet einfach nicht, dass man sie in einem bloss formellen Linien- 
spiel aufhebt, ihr rechteckiges Gerüst wird immer wieder hervortreten. 
Allein die künstlerische Gestaltung blosser Felsen ist unstreitig zu- 
lässig, sobald der ideelle Gegenstand der Baukunst nicht mehr not- 
wendig in Frage kommt; nur durch Gewöhnung und Verstandesvor- 
urteil fallt es uns bei solchen Anlässen noch schwer, in der blossen 
formellen Schönheit Genüge zu finden. Wie gesagt, sind dieselben 
jedoch beschränkt. Schöpfungen, wie der berückend schöne Gnaden- 
altar der Kirche zu Vierzehnheiligenf) welcher den Schlusspunkt der 
durch Bernini's Hochaltar von S. Peter 3) eröffneten Entwickelung 
bildet, bezeichnen die Grenze dessen, was sich mit diesem Gestaltungs- 
prinzip leisten lässt. Da die Formen, welche demselben entsprechen, 
nur bestehen können in symmetrisch oder nur durch Massengleichgewicht 
geordneten, rhythmisch bewegten Linien, welche sich als das räum- 
liche Abbild der bloss formellen Musik betrachten lassen, so hat der 
Rococostil seine Aufgabe ganz erschöpft und ist es auch hier un- 
möglich geworden, etwas wesentlich Neues zu schaffen. 
I) Vergl. Gurlitt a. a. O. S. 410. 
2) Abgebildet bei Dohme a. a. O. S. 388. 
3) Abgebildet bei Gurlitt a. a. O. S. 347.
	        
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