VERHÄLTNIS
DER
GESCHICHTLICHEN
BAUSTILE
ZUR
IDEE.
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waren, wie ihre Auftraggeber das Römerreich fortzusetzen meinten.
Ihr eigentümliches, kraftvoll barbarisches Wesen sprach sich aus in
der Vorliebe für runde und gedrungene Formen; dies war ihr eigent-
licher subjektiver Stil, dessen Schwerfälligkeit sich in den reiferen
Leistungen oft zu merkwürdiger Eleganz erhob. Zwei Kapitelltypen
sind die Träger des reichsten und verschiedensten dekorativen Schmuckes:
das Würfelkapitell, eine Zusammenziehung der im dorischen Kapitell
differenzierten Glieder in roher Gestalt, I) und das "korinthisierende"
Kapitell. Die Säulenbasis ist gewöhnlich die attische. Unter den
Verzierungen ist das Rankenornament der antiken Akanthusranke, ein
Bandornament der antiken Palmettenreihe verwandt. Neu waren jene
rein geometrischen, an Heroldsstücke erinnernden Verzierungen, wie
die Schachbrett, Schuppen- und Zickzackornamente, welche als Friese,
an Kämpfern u. s. w. auftreten, häufig auch an Archivolten, deren
Kunstform sie zerstören.
Die Intersecanz, eine rhythmische Abwechselung verschiedener
Stützen, entwickelte sich als die natürliche Folge des Verhältnisses
der Seitenschiffgewölbe zu den doppelt so langen des Mittelschiffs,
kommt aber vielfach auch ohne diese Motivierung vor. Von der durch-
brochenen Mauer bleiben quadratische Stücke, Pfeiler, stehen, zwischen
welche die raumöffnenden Säulen eingeschoben werden. Bei der
Selbständigkeit der letzteren war deren verschiedene Ornamentierung
gerechtfertigt.
Das überaus schlanke Verhältnis der Mittelschiffe bedingte eine
entsprechende Schlankheit der die Gewölbgurte tragenden Säulen;
dieselben erhielten dadurch den Charakter von "Diensten", d. h.
von an die sichtbar bleibende Werkform gefesselten Stützen, welche
ohne dieselbe dem ästhetischen Gefühl nicht genügen, weil ihre relative
Festigkeit offenbar nur dem Druck der Transversalgurte, nicht aber
demjenigen des ganzen Gewölbes gewachsen ist. Damit war das
klassische Bauprinzip immer noch nicht aufgehoben; ebenso nicht durch
die reichgegliederte und zweckentsprechende Bildung der Portale.
Erst der gotische Baustil trat zu demselben in konträren Gegensatz.
Die Triebfeder der Entwickelung des gotischen Baustils war die
Absicht auf grössere Leichtigkeit und Luftigkeit, auf Auflösung der
starren Mauermassen des romanischen Doms. Bezeichnenderweise wurde
der neue Stil von den Franzosen erfunden, deren stärkste Seite auch
1) Vergl. Franz
231.
Reber,
"Kunstgeschichte
des
luittelalters,"
Leiplig
1866