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DIE
ARCHITEKTUR.
derjenigen seines inneren Zusammenhangs. Die Architektur ist aber
in der Hand der Römer fähig geworden, konkrete Ideen jeder Art
auszusprechen. Wenn dieselben bei der Richtung auf ihre besondere
Aufgabe die Feinheit der Einzelformen vernachlässigten, so wiegt dieser
Tadel gering und ist auch wohl nur da berechtigt, wo nicht eben die
grosse räumliche Gestalt den hauptsächlichen Gegenstand der Betrach-
tung bilden muss. Was an den griechischen Ordnungen konventionell
war, hatte natürlich keinen Anspruch auf eine schonende Behandlung,
zumal wenn es sich mit dem künstlerischen Zweck nicht in Einklang
bringen liess. "Solange die verschiedenen Weisen noch typische Be-
deutung hatten, indem sie aus den sich historisch gestaltenden Rich-
tungsverschiedenheiten des hellenischen Seins naturgemäss erwuchsen
und daher Erkennungs- und Unterscheidungszeichen für letztere waren,
konnte die Baukunst aus ihnen noch nicht den Ausdruck des Charak-
teristischen und Individuellen entnehmen. Auch nur derartiges er-
reichen zu wollen, mochte der Baukunst noch gar nicht beigekommen
sein Der Standpunkt objektiver Beherrschung der drei Ord-
nungen, ihrer symbolischen Verwertung bei bestimmter hervortretendem
Streben nach Charakteristik und individuellem Ausdruck konnte erst
nach dem Erlöschen ihrer historischen und subjektiv-typischen Geltung
gewonnen werden" (Semper). So verwendeten die Römer die ver-
schiedenen Ordnungen in mehrgeschossigen Gebäuden zugleich mit
richtiger Erwägung der grösseren Leichtigkeit oder Schwere ihrer
Formen: zu oberst die korinthische, zu unterst die dorische oder
toskanische. Wenn bereits die Griechen an den athenischen Propy-
läen die dorische und jonische Weise kombiniert hatten, so hatte dies
nicht denselben Sinn.
Im einzelnen haben die Römer immerhin einiges Neue beige-
bracht; so die toskanische Säule. Die Konsolenreihe als Gesimsglied
war eine Bereicherung des Gebälks, welche durch den vergrösserten
Massstab der Werke gefordert worden sein mag. Das Komposita-
kapitell verdient schwerlich Billigung; dagegen die freie ornamentale
Behandlung des korinthischen, in welcher die Renaissance freilich
Besseres leistete. Daneben erscheinen eine Reihe von neuen oder
umgebildeten Verzierungsmotiven. Die Polychromie wurde zur monu-
mentalen Polychromie erhoben.
Wieviel von dem Verdienst, welches wir. hiermit den Römern zu-
geschrieben haben, der vorausgegangenen Epoche des Hcllcnismus
angehört, wissen wir nicht. Mancherlei spricht dafür, dass es ihnen in
der Hauptsache bleiben wird. Im Prinzipe hat die Renaissance nichts
Neues erzeugt. An Einzelformen hat sie, abgesehen von Kombina-