DIE NACHAHMUNG.
Dichter War, leicht erklärlich und entschuldbar ist, weil diese Kunst,
wenigstens die reine Dichtkunst (Lyrik und Epos), bei allen zu
erzeugenden Vorstellungen objektiver Erseheinungen auf die Mit-
Wirkung der Phantasie des Lesers oder Hörers schlechterdings ange-
wiesen ist. Diese Meinung wird aber dadurch ad absurdum geführt,
die entsprechenden ästhetischen Forderungen einen baaren Widerspruch in sich selbst
darstellen. Man könnte allerdings sagen: Prägnant ist derjenige Moment einer Hand-
lung, aus welchem ich das meiste von ihrem Verlauf erkenne; fruchtbar ein solcher,
welcher „der Einbildungskraft freies Spiel lässt", wie Lessing esiausdrückt. Dann
aber bezweckt man dort, dass der Verlauf einer Handlung objektiv möglichst fest-
gestellt werde; hier gerade im Gegenteil, dass man diesen Verlauf von sich aus
errate. Ich bestreite auch, dass mit dieser spitzlindigen Unterscheidung etwas ge-
wonnen ist. Denn sowohl die eine wie die andere Forderung ist eine
poetische, keine bildnerische: beide ruhen auf der Voraussetzung, dass wir
dem Gemälde gegenüber doch etwas vom Verlauf der Handlung, und zwar möglichst
viel von derselben, erkennen sollen. Und dies eben ist das Unbildnerische: für die
bildende Kunst ist der Verlauf einer Handlung überhaupt nicht vorhanden; sie kann
ihn nicht zeigen und braucht ihn nicht zu zeigen. Sie hat ihre Gegenstände viel-
mehr mit Rücksicht auf die malerisch oder bildnerisch günstigen Bedingungen für
deren Erscheinung auszuwählen, seien dieselben der Entwickelung einer Handlung
entnommen oder nicht. Fischer führt nun (S. 146) in die Lessingkche Deduktion
folgenden Satz ein: „„insofern Kunstwerke bestimmt sind, nicht durch die Dar-
stellung körperlicher Schönheit, sondern durch die Handlung, also "poetisch", zu
wirken, muss ein möglichst fruchtbarer Augenblick gewählt werden" etc. Man sieht
sofort, dass der Geltungsbereich der Lessing'schen Lehre dadurch erheblich eingeengt
wird, weil hier die Absicht auf die beregte Wirkung durch bildende Kunst ins Er-
messen des Künstlers gestellt ist und dieselbe nun doch nicht regelmässig, sondern
nur in einzelnen Fällen vorliegen wird. Allein jenes "insofern" steht gar nicht bei
Lessing; er wollte vielmehr der bildenden Kunst ganz allgemein ihre Stoffe an-
weisen; wie Graf Caylus ihr die falschen anwies, so er die richtigen. Das geht
hervor schon aus dem starken Umfange, welchen die fragliche Erörterung im Lao-
koon einnimmt, es liegt aber auch in den Worten des Kap. III: "Kann der Künstler
nie mehr als einen einzigen Augenblick" "brauchen; sind aber ihre (der bildenden
Künstler) NVerke gemacht, lange und wiederholtermassen betrachtet zu werden"
und das heisst doch: „ihre Werke insgemein oder durchweg „so kann jener
einzige Augenblick nicht fruchtbar genug gewählt werden". Eine solche Bedeutung,
wie sie hiernach Lessing annahm, und welche Fischer übrigens durchaus aufrecht zu
halten bemüht ist, hat sowohl der "fruchtbare", wie der "prägnante" Moment für die
bildende Kunst einfach nicht. Damit ist garnicht geleugnet, dass die Prägnanz des
dargestellten Augenblickes einer Handlung dem Bilde ein dramatisches Schönheits-
moment hinzufügen kann, welches z. B. in Hennebergs "Jagd nach dem Glück",
Makarts "Jagd der Diana" zu überaus glücklicher Wirkung kommt. Die Wirkung
eines Bildes kann ferner immerhin durch das Hinzutreten einer über die vorliegende
Erscheinung hinausgehenden poetischen Anregung bereichert werden. Allein regel-
mässig werden die Bilder doch nicht geschaiTen in der Absicht auf Fruchtbarkeit für
unsere Phantasie, sondern dafür, dass wir sie selbst betrachten.