Volltext: System der Künste

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DIE 
ARCHITEKTUR. 
Inkrustation und der nachahmenden Übertragung von Werkformen der 
Holzstruktur in Stein (Zahnschnitt) treten auch in Westasien Nach- 
ahmungen von Naturgebilden als architektonische Glieder auf. So wird 
die Urform des jonischen Volutenkapitells wohl als aufgeschlossener 
Blumenkelch, ganz ähnlich dem korinthischen Kapitell, verstanden 
werden müssen. In dem unklaren Ringen nach künstlerischem Aus- 
druck mögen den Asiaten zugleich noch andere Reminiszenzen, wie 
das Bild der Metallspirale, vorgeschwebt sein. I) Gel-ade weil ihnen 
das klare Prinzip fehlte, welches die ägyptische Baukunst in der Nach- 
ahmung festhielt, wurde es ermöglicht, dass sie von dem ursprünglichen 
Motiv zu Gunsten der reinen organischen Kunstform absahen und da- 
durch die Erfindung des jonischen Kapitells vollzogen oder unmittelbar 
vorbereiteten.  Die persischen Monumente können bei ihrem ge- 
ringen Alter einen wesentlichen Einfluss auf die Entwickelung der 
klassischen Kunstformen nicht gehabt haben. 2) 
Grieclmzland. 
Karl Otfried Müller behauptete, dass die griechische Kunst ganz 
allein dem griechischen Boden entsprossen sei. Diese Ansicht kann 
nicht aufrecht erhalten werden, vor allem deshalb, weil sie der inneren 
Wahrscheinlichkeit entbehrt; denn wie sollte ein seefahrendes Volk 
von sehr empfänglichem, beweglichem Sinn die Eindrücke älterer Kul- 
turen nicht verwertet haben, mit welchen es fortwährend in Berührung 
kam! Zudem bei wenig ausgebildetem Gefühl für die nationale Zu- 
sammengehörigkeit! Die Verwandtschaft der griechischen Monumente 
mit denjenigen früherer Kulturvölker ist aber ferner zu augenfällig, um 
geleugnet werden zu können, sollte sie auch im einzelnen nicht ganz 
deutlich sein. Für die Architektur steht dieser historische Zusammen- 
hang ausser Zweifel. Indessen haben die Griechen soviel zu dem Vor- 
handenen hinzugefügt, dass die Ansicht K. O. Müllers immer noch 
I) Vergl. die Abb. des Reliefs von Boghazköi Fig. 63 bei v. Sybel a. a. O. und 
das bekannte Relieftempelchen von Chorsabad bei Lübke a. a. O. Fig. 41; ferner 
bei Durm a. a. O. "Griechen" S. 159 die Abb. der von Cesnola in Cypern aufgefun- 
denen Stelen. 
2) Dadurch wird die Bedeutung des einzigen konkreten Belegs hinfällig, welchen 
Semper für die technische Entstehung der Kannelur aus der Metallhohlkonstruktion 
beibringen konnte, der persischen Säule. Die grosse Zahl der Kanneluren kann 
übrigens hier ebensogut aus subjektivem Geschmack oder aus der Schlankheit dieser 
Säulen erklärt werden. Vergl. Semper a. a. O. II, S. 399.
	        
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