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DIE
ARCHITEKTUR.
"der Darstellung zog, welche deren eigentlichem Gegenstand gar nicht
angehörten. Die Wand war mit figürlichen Darstellungen bedeckt,
wie dies bei vertikal hängenden Teppichen gleichfalls wohl angebracht
ist; auf den Inhalt derselben kommt weiter nichts an. Wenn die ge-
gebene Erklärung feststeht, so kann man die das Ganze krönende
Hohlkehle nicht wohl als eine den Estrich umgebende und von dessen
Last niedergebeugte Rohrstengelreihe ansehen, noch weniger, was
schon an und für sich unverständlich ist, als Brustwehr der Dach-
terrasse eines Holzhauses. Wenn man nicht annehmen will, dass hier
ein federbuschähnlicher Schmuck der vier oberen Ecken des früheren
Zeltes in ein Profil des ganzen Raumkörpers monumental umgesetzt
wurde, so wird man die Hohlkehle als rein formale Krönung be-
trachten müssen. Auf die Hohlkehle und das Zeltgerüst verzichteten
die Ägypter selbst bei Holzbauten nicht, wie an dem Sarg des Menkare
ersichtlich ist. Gleich nachahmend wie die künstlerische Gestaltung
der Wand war auch diejenige der Säule. Es ist ziemlich gleichgültig,
ob man die ägyptische Säule selbst als monumentale Blume bezw.
Knospe nebst Stengel, oder ob man sie bloss als mit monumental
gewordenem Blumenschmuck bekleidet ansieht. Denn die Gestalt der
Säule war in keinem Fall eine funktionelle, vielmehr blosse Umhüllung.
Beide Auffassungen mögen in verschiedenen Fällen berechtigt sein,
häufiger jedoch die erstere, wenngleich sie unserm Gefühl durchaus
widerstrebt. Wir erhalten das Bild eines mit vollster Konsequenz
durchgeführten Prinzips des äusserlichen Anfügens von Nachahmungen
an das konstruktive Gebäude, wenn wir uns noch an die ausgiebige
Verwendung von freien Statuen als Pfeilerschmuck und an das Hathor-
rnaskenkapitell erinnern.
Die ägyptische Baukunst hat demnach eine wahrhaft organische
Gestaltung ihrer NVerke weder erreicht noch angestrebt, indem sie sich
vielmehr mit einer nachahmenden Bekleidung ihrer Werke begnügte,
welche thatsächlich keine Kunstform, sondern ein über die Werkform
gehängter blosser Schein war. Man wird es deshalb vielleicht auf den
ersten Blick räthselhaft finden, wenn wir gelegentlich diesen Stil mit
einem so absolut organischen, wie dem dorischen Baustil, in Verbin-
dung bringen. Indessen ist eine Verwandtschaft beider Stile doch
ermöglicht durch {zwei Umstände. Erstens hatten die Ägypter die
Werkform des Steinbalkenbaues und des Quadergemäuers ausgebildet,
welche die Griechen aufnahmen, und in Verbindung damit wenigstens
die Gliederung in Last und Stütze vorgenommen; ferner hatten sie die
peripterische Anlage durch ihre Hofarkaden wenigstens vorbereitet.
Von einzelnen peripterischen Schöpfungen der Ägypter, wie dem