DIE
EINHEIT
DER
ARCHITEKTURWERKE
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Gestalten oder mit Abbildungen von Naturgegenständen, so ergab sich
aus der blossen Prozedur eine eigentümliche Einheitlichkeit der Formen.
Dieser Vorgang fand im ausgedehntesten Masse statt in der textilen
Kunst, welche mithin bezüglich des Ornaments, ebenso wie die
Töpferei bezüglich der organischen Erscheinung, als die ursprünglich
stilbildende Kunst zu betrachten ist. Beim Gewebe ist die eigentüm-
lich quadrat- und kreuzförmige Schematisierung des Ornaments, des
rein textilen, geometrischen, wie des bildlichen, objektiver Materialstil.
Die Stilisierung des griechischen Akanthus dürfte dagegen wohl als
subjektiver Stil aufzufassen sein; sie steht in völliger Harmonie mit
dem Charakter der übrigen Ornamente, auch der bloss aufgemalten.
Gelangt man ferner zu hinlänglichem Bewusstsein der ästhetischen Be-
deutung des Geschehenen, so ist ein weiterer Schritt vorbereitet: die
Erfindung beliebiger F ormprinzipien aus freier Phantasie, die willkür-
liche Stilisierung. Dieselbe dient in der Architektur den beiden Auf-
gaben, die Einheit des Artefakts auszudrücken und die schmückenden
Bilder als unwirklich und jenem untergeordnet zu bezeichnen. Am
Artefakt erscheint für die rein ästhetische Auffassung die Einheit des
Gestaltungsprinzips als Ausdruck seines individuellen Wesens und
keineswegs als Ausdruck der künstlerischen Individualität, von Welcher
es möglicherweise herstammt.
Der Baustil eines Volkes, Zeitalters oder einzelnen Künstlers um-
fasst die gesamte architektonische Gestaltungsweise desselben, und
nicht etwa bloss die Verzierung; man spricht von demselben in einem
relativen Sinn, ohne dadurch über seine Qualität zu urteilen. Wenn
wir es aber als ein zwingendes Gesetz der architektonischen Darstel-
lung ansehen, dass die Formen ihrer Werke durchaus deren Zweck
entsprechen, so ist dasselbe eine Forderung des Stils im absoluten
Sinn, ebenso wie diejenige einer dem Material entsprechenden Form.
Die aus dem Zweck hervorgehenden Formen dürfen also durch einen
subjektiven Stil nicht alteriert werden, Wennanders derselbe ein voll-
kommener und tadelloser genannt werden soll. Abgesehen von der
verschiedenen Anordnung der Räume und der Erfindung verschiedener
konkreter Ideen der Artefakte bleibt demnach für den beliebigen sub-
jektiven Stil nur das Gebiet der Verzierung übrig. Hier sind aber
unzählige Stile InögliCh und ist jeder historische Stil gleichberechtigt.
Die gleichartige Stilisierung aller Verzierungen verlangen wir
prinzipiell für den ganzen Raumkörper. Indessen kann auch eine
Kombination verschiedener Stile stattfinden, wenn dieselbe in syste-
matischer Ordnung auftritt; dies wird besonders dann zulässig sein,
wenn die verschiedenen Stile unter sich verwandt sind und 50 ein