DIE
VERZIERUNG.
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prinzip walten lassen und dadurch der Einheit des Bauwerkes einen
äusseren Ausdruck verleihen kann. Historisch ist umgekehrt mehrfach
aus der Einheit des Artefaktes und des darauf angewendeten Stiles
die Stilisierung der Nachahmung entstanden.
Es kommt bei der Verzierung eines Gewebes nicht auf die Ähn-
lichkeit etwaiger Nachahmungen, sondern zuerst darauf an, dass das-
selbe als Fläche, als lediglich zweidimensional, erscheinen muss. Denn
der Zweck der Verhüllung und eines beweglichen Faltenwurfes verträgt
sich nicht mit der Vorstellung eines dreidimensionalen Körpers. Der
Begriff "Fläche" ist für die künstlerische Gestaltung durchaus mass-
gebend. Dasselbe ist der Fall beim F ussboden und überhaupt bei den
raumabschliessenden Wandungen. Infolgedessen darf das Ornament
hier nirgends einen körperlichen Eindruck hervorbringen, es ist also
eine Entkörperung aller etwa verwendeten Naturnachahmungen erfor-
dert?) Schon diese Veränderung ist eine Stilisierung; doch muss
davon noch die Stilisierung an Geweben durch die Webetechnik und
ferner die willkürliche Stilisierung der F lächenornamente, insoweit sie
nicht bloss durch die Flächeneigenschaft bedingt ist gotische, ro-
manische, byzantinische Stilisierung einer F lächenverzierung unter-
schieden werden. Der Naturalismus im plastischen Ornament, wie
ihn die künstlerische Unfähigkeit am Anfang unseres Jahrhunderts
grossgezogen hatf) ist aus einem andern Grunde zu verwerfen, als der
Naturalismus im F lächenornament, welcher den gleichen Ursprung hat ;3)
nämlich deshalb, weil jeder Gedanke an Freiheit und Selbständigkeit
des nachahmenden Bildwerks ausgeschlossen und seine Unterordnung
unter das zweckliche Gebild ersichtlich sein muss. An seitlichen
Raumabschlüssen ist Reliefwirkung des Ornamentes zulässig, eine
naturalistische nur in so bescheidenem Masse oder überhaupt in einer
solchen Form, dass dadurch der Charakter der Wand als Deckenstütze
nicht aufgehoben wird. Man setze 2. B. den Fall, dass eine hölzerne
Kassettendecke auf ungegliederten Wänden ruhe, welche mitnatura-
listischer Luft dekoriert sind, so ist die Geschmacklosigkeit einleuch-
1) Vergl- Sempßr a- a- 0- S5 I2 und 13. Falke a. a. O. S. 147 f. und S. 149,
Kap. VIII.
2) Vergl. Falke a. a. O. S. 180.
3) Trotz den eifrigsten Bestrebungen tauchen jedoch in letzter Zeit wieder Er-
zeugnisse auf, welche einen Rückfall bedeuten. Sollte denn wirklich soviele Mühe
an Gewerbe und Publikum umsonst verschwendet sein? Wenn es der Fall sein wird,
so ist es lediglich die Schuld derjenigen, welche in grober Fahrlässigkeit nicht auf-
hören, dem SubjektiViSmuS der KllllSf das Wort zu reden. Es wird aber niemand
gelingen, die Verzierung eines Fussbodens mit der Abbildung über Eck gestellter
Würfel (Semper a. a. O. I, S- 413 Falke, S. 147) ästhetisch zu rechtfertigen.