DIE NACHAHMUNG.
Kehren wir zurück zu demjenigen Begriff der Idee, welcher nichts
bedeutet, als die Vorstellung eines gegebenen Gegenstandes, so kann
die Vorstellung von dem Gegenstand bei verschiedenen Subjekten eine
abweichende sein und diese Abweichungen werden sich bei künst-
lerischer Thätigkeit im Bilde äussern.
Dieselben könnten beruhen auf künstlerischer Unfähigkeit; in
vielen Fällen aber sind sie auf die Wirkung eines subjektiven Ideals
zurückzuführen. Diese Idee, als die Vorstellung, welche ein Subjekt
von einem gegebenen Gegenstand hat, nenne ich „ transscendentale
Idee" im Gegensatz zu der transscendenten platonischen. jene be-
deutet eine Vervollkommnung des Gegenstandes, also eine Veränderung
auf Seite des Objektes, diese eine Veränderung auf Seite des Sub-
jektes. Die meisten Kopien können hiefür als Beispiel dienen, indem
sie durchweg Abweichungen der Auffassung zeigen, also nicht rein
objektiv sind. Eine transscendente Idee, gefasst von einem (künst-
lerischen oder betrachtenden) Subjekt ist natürlich immer auch trans-
scendentale Idee; allein deshalb darf man die beiden an sich ver-
schiedenen Begriffe doch nicht zusammenwerfen.
Es ist selbstverständlich und ergiebt sich aus dem logischen
Gesetze der Identität, dass nur eine einzige Vorstellung und ebenso
nur eine einzige Darstellung im Bilde die zutreffende und wahre
sein kann. Diese dem Bilde zu Grunde liegende Vorstellung kann
man die „konkrete Idee" nennen, weil in ihr eine Abstraktion (von
Merkmalen des gegebenen Gegenstandes) nicht stattfindet. So steht
sie in der Mitte zwischen der platonischen Idee, welche, obgleich als
sinnliche Erscheinung ebenfalls konkret, dennoch im Verhältnis zu
einem gegebenen unvollkommenen Gegenstand nur durch Abstraktion
zustande kommt, und zwischen der subjektiven, transscendentalen Idee,
d. h. der Vorstellung, welche ein beliebiges Subjekt von dem Gegen-
stande hat, indem sie Weder auf objektiver.noch auf subjektiver Seite
vom Gegenstande selbst abweicht. I)
auch das Besonderste die Möglichkeit in sich trägt, eine ästhetische Befriedigung
herbeizuführen; aber es trägt dieselbe nur in sich durch Realität des voraus-
gesetzten Besonderen, während "Idee" bei Vischer gerade im Sinne eines Gegen-
satzes zu allem Besonderen genommen wurde.
I) In einer im Frühjahr 1886 erschienenen Schrift über "die Grenzen der Kunst
und die Buntfarbigkeit der Antike" (Berlin bei Grote) habe ich den Ausdruck "Idee
in concreto" gebraucht, um damit den Gegenstand des Bildes im Gegensatze zu
dem ästhetischen Postulat zu bezeichnen, dass das Bild eine platonische Idee dar-
stellen müsse. E. v. Hartmann unterscheidet in seinem cit. historisch-kritischen
Werke zwischen dem "abstrakten" und "konkreten" Idealismus in der modernen