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DIE
ARCHITEKTUR
Ausdruck zu finden, als der neueren Kunst die Findung einer anderen
jemals möglich sein wird?)
Bötticher fasst leider die Kannelur, und überhaupt die Kunst-
formen, als Nachahmungen auf. Es handelt sich aber um ein blosses
Analogon, dem immerhin ein dunkles Gedächtnisbild zugrunde liegen
mag. Man kann den Narthex, den Doldenstamm gewisser Pflanzen,
vergleichsweise anführen, aber die Griechen haben ihn sicherlich nicht
abgebildet, noch auch darf die Kunstform als Abbildung verstanden
werden. Sie ist und war gewiss schon für die Griechen ein rein ab-
strakter Ausdruck des unbeugsamen Aufstrebens und des Anundfür-
sichbestehens der der Funktion des Raumabschlusses enthobenen Säule.
Aus dem letzteren Grunde sind die Spitzen der Kanneluren im Grund-
riss nach aussen gerichtet.
Über die Bedeutung der Verjüngung der Schwellung des Säulen-
schafts (Entasis), welche dem Profil desselben grössere Elastizität
verleiht, ist man so ziemlich einig. Bötticher sagt darüber: "Hier
verleiht die sanfte Kurvenlinie dieser Anschwellung" der trockenen rein
mathematischen Körperform des konischen Cylinders den Ausdruck
von energischer Widerstandsfähigkeit gegen Niederbeugung; zugleich
gewinnt der Säulenstamm von der Entasis ab wahrnehmbarer an
Schnelligkeit der Verjüngung nach oben hin. Das Gegenteil hiervon,
den Anschein von Schwächung und der Neigung zum Einbiegen, würde
eine umgekehrt und nach einwärts gezeichnete Kurvenlinie bewirken.
Man kann darüber nicht schwankend bleiben, dass nur aus dieser eben
berührten Absicht die Entasis der Hellenischen Säule hervorging: einen
materiellen oder statischen Nutzen hat sie nicht; wie alle Kunstformen
nur scheinbar fungieren, so scheint auch sie bloss den Widerstand
gegen Niederbeugung zu verstärken."
Als Kunstform des Gebälks kann ein einfacher wagerechter
Balken, wie ihn der Architrav (das Epistyl) des dorischen Tempels
darstellt, nicht ausreichen; vielmehr ist erfordert eine Gliederung des
Gebälks, aus welcher dessen Selbständigkeit erhellt. Naturgemäss
findet dieselbe statt in einen Hauptbestandteil, ein auf den Stützen
fussendes Glied und eine Bekrönung.
Der Hauptbestandteil wird keine andere Form haben können, als
die gerade Vorderfläche des lagernden Balkens. Diese Fläche, der
Fries, giebt jedoch die beste Gelegenheit zur Anbringung von Ver-
zierungen jeder Art. Wenn dieselbe, wie bei den späteren Denkmalen
1) Vergl.
Bötticher, Tektonik
Hellenen, Berlin
1874 I: