DIE
IDEE.
des vorliegenden Individuums hinaus bis zu einer Erscheinung, welche
den Begriff seiner ganzen Gattung verkörpert, denn es kann natürlich
in dieser Gattung nur eine einzige Vorstellung der Vollkommenheit,
ästhetisch genommen der vollkommenen Schönheit, geben: wenn die
Erscheinung eines Mannes die vollkommen schöne ist, so muss jede
Abweichung von ihr eine Unvollkommenheit bedeuten. Die platonische
Idee ist mithin gleich einer sinnlichen Vorstellung, welche dem Gattungs-
begriff entspricht, während die einfache Vorstellung eines Gegenstandes
eben nur dem Begriff dieses Gegenstandes entspricht. Auch die pla-
tonische Idee kann jedoch für die Kunst nur insoweit in Betracht
kommen, als sie sich in einem konkreten Individuum verkörpern lässt.
Denn hier handelt es sich immer um sinnliche Erscheinungen. Wenn
wir durch ein unbegrenztes Vermögen unseres Geistes von jedem Art-
begriff aus zur Gattung und endlich zu dem höchsten, völlig abstrakten
Begriffe des Seins emporsteigen können, so sind solche Begriffe, aus
welchen sich keine konkrete sinnliche Erscheinung bilden lässt, doch
ästhetisch völlig unbrauchbarf)
1) Deshalb ist es auch hier nicht nötig, Untersuchungen darüber zu führen,
was sich Plato thatsächlich unter "Idee" gedacht hat; ästhetisch kann nur in Betracht
kommen, was ein allgemeiner, längst verjährter Sprachgebrauch darunter versteht.
Es ist auch an und für sich gleichgültig, welchen Inhalt die neuere Philosophie diesem
Worte gegeben hat. Die Ästhetik bedarf notwendig der drei Begriffe, welche wir
soeben entwickelt haben, und die Philosophie mag ihrerseits sehen, was sie mit dieser
Thatsache anfängt.
Friedrich Vischer stellt über die Idee folgende Sätze auf:
„Die absolute Idee ist die Einheit aller Gegensätze. Diese höchste Einheit
ist nicht bloss ein formaler Begriff; sie kann aber auf keinem einzelnen Punkte der
Zeit und des Raumes als solche zur Erscheinung kommen, sondern sie verwirklicht
sich bloss in allen Räumen und Zeiten durch einen ewigen Erneuerungsprozess."
(S Io) „Sie kann in Wahrheit nur durch den Gedanken erfasst werden." (S I2)
„Das Schöne" aber „ist die Idee in der Form begrenzter Erscheinung. Es ist
ein sinnlich Einzelnes, das als reiner Ausdruck der Idee erscheint." (3 I4) „Es
kann immer nur eine bestimmte Idee sein, welche in der schönen Erscheinung zum
Ausdruck kommt." Aber es „ist ebenso wesentlich die andere Seite festzuhalten,
dass in jedem Schönen mittelbar nicht nur diese oder jene, sondern die Idee als
gegenwärtig erscheint." (S 15) „Die Idee bestimmt sich als Gattung. -]'ede
Gattung aber ist die Besonderung oder Art einer höheren Gattung. Je höher in
dieser Reihe eine Idee steht, desto grösser muss auch die Schönheit sein, aber auch
je die niedrigere enthält die wesentliche Bedingung der Schönheit, weil jede ein
integrirendes Glied ist in der Totalität der Ideen." (S I7).
Das ist echte Dialektik. Man will zeigen, was schön und was hässlich ist, und
gelangt mit einem erstaunlichen Aufwand von Geist bestenfalls dahin, dass die Idee
des Weltalls gleich der Totalität der Ideen, schlimmerenfalls dahin, dass auch das
unvollkommene als Teil des Ganzen vollkommen sei. Wir werden anerkennen, dass