A. DIE ORGANISCHE SCHÖNHEIT DER ARCHITEKTURWERKE. 177
und wenn dieselben in Form und Verhältnissen genau dem Zweck
entsprechen, welchem sie dienen. Sehen wir näher zu, so Findet sich,
dass es in ganz überwiegendem Masse der äussere Zweck ist, welcher
die schöne Form bestimmt hat. I) Z. B. ist die Stellung des Henkels
zum Bauch des Gefässes für den inneren Bestand desselben gleich-
gültig; ihre Schönheit wird vielmehr bestimmt durch das Gefühl der
Dienlichkeit für den handlichen Gebrauch, allerdings mit Rücksicht
auf die Gewichtsverhältnisse des ganzen Gefasses und auf die Gesamt-
bestimmung desselben?) Es lässt sich nicht leugnen, dass hier ästhe-
tische und praktische Zweckmässigkeit sehr nahe zusammentreten, ja
zusammenfallen, während jedoch der begriffliche Unterschied zwischen
beiden nicht aufgehört hat. Der Unterschied wird deutlicher an
etwas höher stehenden Geräten, z. B. den Sitzgerätschaften, Lehn-
sesseln u. dergl. Eine hinter uns liegende Zeit hat eine künstlerische
Durchbildung derselben nicht einmal versucht und erreichte so natur-
gemäss meist eine grosse praktische Zweckmässigkeit, während diese
bei einer organischen Gestaltung des Möbels mitunter gelitten hat.
Indessen lässt sich beides sehr wohl vereinigen, und man kann, wenn
das Möbel die von ihm zu verlangende Bequemlichkeit nicht gewährt,
darauf Wetten, dass in ihm auch künstlerisch keine richtige Lösung
erzielt ist.
Der Zweck eines Gefasses, welcher aus der ganzen Erscheinung
oder wesentlichen Momenten derselben unmittelbar einleuchtet, be-
stimmt die Form bis in kleine Einzelheiten, sodass die Idee ganz
speziell fixiert ist. Dagegen ist es für die Anordnung zweier Flügel
und eines Hauptbaues an einem Gebäude gleichgültig, ob der Haupt-
bau die Empfangshalle und die Flügel die Einzelgernächer eines Bahn-
hofs oder einer Badeanstalt in sich bergen. Es ist dabei zu bemerken,
I) Vergl. Sexnper a. a. O. II, S5 88 und 106, überhaupt den ganzen Abschnitt
über Keramik mit seinen vielen Abbildungen, insbes. auf S. 80 und 112. Er unter-
scheidet fassartige Gefässe (Amphoren, Urnen u. s. Schöpfgefässe und Guss-
gefässe, je nach ihrer hauptsächlichen Funktion. Jakob v, Falke hat denselben
Gegenstand in seinem für eine gemeiufassliche Darstellung mustergültigen Werkchen
„Ästlietik des Kunstgewerbes" S. 62 ff. ebenso dargestellt.
2) Vergl. Semper 11- a- 0- H, S 1051 „Alle oben angeführten und charakteri-
sierten Gefässe sind Beispiele des Zusammenwirkens einer aus getrennten Teilen
zusammengesetzten Vielheit zu einer einheitlichen Erscheinung, seien die Teile nun
faktisch getrennt oder mögen die Elemente nur der Idee nach sich selbständig be-
weisen, während das Werk in der Wirklichkeit aus einem Ganzen ist. Beides,
nämlich die Sonderung der Elemente und ihre Verbindung zu einem Zweckeinheit-
liehen soll an dem Werke klar und deutlich hervortreten." Vergl. oben S. 169 Abs. 2.
Alt, System der Künste. g 13