Volltext: System der Künste

DIE 
ORGANISCHE 
SCHÖNHEIT 
DER 
A RCHITEKTURWERKE. 
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Fall, sowohl wenn sie eine Raumdecke trägt, als bei der Vorkragung 
von Konsolen und bei der Durchbrechung durch Öffnungen. Dürften 
wir dies nicht anerkennen, so wäre die Architektur in ihrer freien Be- 
wegung unleidlich beschränkt; es handelt sich aber nur darum, die 
Wand neben dem Säulen- und Pilasterbau mit logischer F olgerichtigkeit 
systematisch zu verwenden?) 
Bei der Sonderung der organischen Bestandteile des Hauses ent- 
steht das Bedürfnis einer mehr als bloss formellen, einer organischen 
Proportionalität. Dieselbe ist wesentlich bedingt durch unsere 
Kenntnis von den Eigenschaften des erscheinenden Materials?) Unsere 
Empfindung verlangt ein reichliches Mass von Kraft in den tragenden 
Gliedern. Dadurch sind diejenigen Anordnungen bedingt, welche, wie 
z. B. das Zurücktreten des dorischen Architravs hinter die StirnHäche des 
Abakus, mit der Forderung absoluter Zweckmässigkeit in XViderspruch 
zu stehen scheinen; denn man könnte meinen, dass dabei Architrav 
und Abakus bündig laufen sollten; aber hier würde der Eindruck einer, 
I) Arthur Schopenhauer (vergl. "Die Welt als YVille und Vorstellung", II, S. 468) 
erklärte die Mauer für ästhetisch wirkungslos, weil Stütze und Last in ihr nicht ge- 
sdndert sei. Das ist nicht ganz zutreffend; zuerst handelt es sich bei der Mauer 
vielmehr um die Nichtsonderung von Stütze und Raumabschluss. Allerdings lasten 
die Bestandteile der Mauer auch aufeinander; aber dasselbe ist bei der Säule der 
Fall, während ihre eigentümliche Wirkung gegenüber der Wand in der Raumödnung 
liegt, welche durch sie bewerkstelligt wird. Diese beiden Funktionen also werden 
ästhetisch gesondert, wenn man die Wand durch Pilasterstelltmgen gliedert. Bei der 
Verwendung der glatten geschichteten Wand liegt mitunter eine ähnliche Absicht 
vor, wie bei der Verwendung des sog. Rustikamatierwerks: man verwendet die primi- 
tive, ungegliederte Form ästhetisch im bewussten Gegensatz zu der durchgebildeten 
organischen Gestalt. 
2) Vergl. oben S. 53, Abs. 3. Ferner K. Bötticher a. a. O. l, S. 22 unten. 
"Indem die Stärken der Glieder von dem Leistungsmomente des Gesteines abhängen, 
bestimmt dasselbe die Gliederproportionen. Folgerecht wird dann in der proportio- 
nalen Stärke jedes Gliedes, das Mass seiner eigenen, in der lichteren oder ge- 
drängteren Verteilung aller Glieder, das Mass der statischen Leistung ihres ganzen 
Systemes ausgesprochen sein." Hans Auer sagt in der Lützowkchen "Zeitschrift 
für bildende Kunst" (jahrg. 1880, S. 323, in "Die Bedeutung der Triglyphen"): 
"Keines Menschen künstlerisches Gefühl kann a priori bestimmen, die Säulen müssen 
aus ästhetischen Riicksichten soviele Durchmesser Zlll" Höhe haben, sie müssen so- 
weit voneinander entfernt stehen u. s. f. Das alles sind Resttltate unendlich langer 
Versuche, welche mit bestimmten Erfahrungsregeln abschliessen, mit Material und 
Technik, ebenso mit der Kunstanschatiung des Volkes zusammenhängen und sich 
schliesslich auch in Gewohnheit und Gefühl festwurzeln. Die Weite der Säulenab- 
Stände ist durch die Festigkeit des Deckenmatelials gegeben.    DaSS kÜIISÜCTlSClICS 
Auge diese Erfahrungsgesetze zu modifizieren vermag und modifiziert hat, ist un- 
zweifelhaft, aber nur in sehr geringem Masse."
	        
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