DIE
ORGANlSCI-IE
SCHÖNHEIT
DER
ARCHITEKTURWERKE.
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Gar nichts anderes ist, wie wir schon einmal (s. o. die Anmer-
kungen auf S. 21 und 36) dargethan haben, bei den organischen
Naturgebilden, bei der Gestalt der Menschen und Tiere, der Fall.
Gerade wie bei den Artefakten beruht ihre Wesensschönheit auf der
äusseren und inneren Zweckmässigkeit ihres Körpers in derErschei-
mmg, und auch dort muss mit Rücksicht auf den Zweck, aber darf
nicht interessiert geurteilt werden (s. oben die Anm. auf S. 32). Daher
ist, wenn man hiefür den Ausdruck "unfreie" oder "dienende" Schön-
heit gebrauchen will, alle und jede Schönheit des Wesens organischer
Körper unfreie (nach Kant: nanhängende") Schönheit. Und zwar
bleibt sie dies auch im Bilde (Gemälde oder Bildwerk), während wir
schon dem Naturgebild gegenüber nur nach dem vorgestellten, nicht
nach dem praktischen Zweck urteilen durften.
Der äussere Zweck des Haus es , des vornehmsten Artefakts, scheint
historisch zuerst verwirklicht worden zu sein in gewissen primitiven
Gebilden, welche zur Behausung dienen können, nämlich im Zelt und
in der Felsenhöhle. Es ist deshalb natürlich, dass man vielfach in
einem oder dem anderen die ursprüngliche, eine Idee des Hauses er-
blicken zu dürfen meinte und auf historischem Wege die Richtigkeit
dieser Meinung zu beweisen hoffte. Allein was früher war, die Stein-
höhle oder das Zelt, wird man nicht feststellen können; es kommt
auch gar nicht darauf an, denn früher als beide war das Bedürfnis der
Behausung, welches der Mensch eben in der Weise befriedigt, wie es
die vorhandenen Mittel ihm am bequemsten gestatten. Daher wird
in frühen Kulturperioden im Flachland allemal das Zelt, im Gebirge
die Höhle als erstes Werk der Architektur auftreten. Die _ldee_ der,
ßghausung hängt aber davon nicht ab, sie ist vielmehr in beiden
Fällen die gleiche und wird immer die gleiche bleiben: sie besteht in
dem Dieser Zweck muss
Entscheidung überlassen, ob ihm die praktischen Vorzüge eines künstlerisch minder-
wertigen Entwurfs mehr wert sind, als die ästhetischen Vorzüge eines anderen,
praktisch immerhin brauchbaren, oder umgekehrt. Vielleicht könnte 1113.11 sich auch
durch eine Teilung der beiden Aufgaben helfen. Sobald man einmal dem praktischen
Gesichtspunkt den Vorzug giebt, bedeutet nach strenger Logik der ästhetische gar
nichts mehr. Und wenn dies in einer Konkurrenz geschieht, welche allgemein als
eine künstlerische betrachtet wird, so folgt daraus nicht minder eine Beirrung des
öffentlichen Urteils, wie eine Ungerechtigkeit gegen die Künstler. Das Verhältnis
zwischen "utilitärer und ästhetischer Zweckniässigkeit" hat auch Rud. Adamy in
Seiner "Arehigektonik" (Hannover seit 1883, I. Bdchn., Kap. II) behandelt. Er ge-
langt zu dein Resultat, dass die Architektur „ein Bund des Nützlichen und Schönen"
sei, was im Ganzen genommen gewiss richtig ist.