III. DIE VERBINDUNG DER MUSIK MIT ANDEREN KUNSTARTEN. 163
listischenDrama wäre diese Stilisierung unerträglich. Der Gegenstand
des Musikdramas an sich kann aber unter keinen Umständen ein an-
derer sein, als derjenige des Dramas überhaupt: eine Begebenheit.
Denn es giebt keinen weiteren Gegenstand der Nachahmung mehr.
Die Musik tritt ebenso zum Drama wie die dichterische Form, welche
sie überflüssig macht. An das letztere sollten sich die Litteratur-
ästhetiker erinnern, wenn sie Musikdramen kritisieren. Weil es sich
hier ferner um ein idealistisches Dramaf handelt, so wird auf unserer
Bühne die Herbeiziehung des Schönen der bildenden Künste zum Ge-
samtbild in erhöhtem Masse gerechtfertigt sein. Die unendliche Be-
gleitung des Dramas durch Musik aber ermöglicht nun auch ein Auf-
treten der Dekoration für sich; im "Waldweben" des "Sigfried", beim
Erwachen des Morgens in der zweiten Szene des zweiten Aufzugs der
"Götterdämmerung", in „der Blumenau" des "Parsifal" sind solche
Erscheinungen gegeben, welche hier gerechtfertigt sind und höchste
Schönheit entfalten; das notwendige Bindeglied zwischen Musik und
Bild ist dabei der mit Naturvorgängen verbundene, teilweise ton-
malerische Gefühlsinhalt. Würde dieses Einheitsmoment fehlen, so
müssten wir von unserm Standpunkt aus die Verbindung verwerfen.
Wir haben zwei Momente des musikalischen Genusses festgestellt,
welche bei der Verbindung von Musik und Rede oder Handlung in
Frage kommen können: die zeitliche Abfolge einer schönen Melodie-
entwickelung, ohne Rücksicht jedoch auf eine etwaige Einheit der
Melodie, und-die musikalische Erscheinung eines Gefühls. In jener
Form wäre die Musik nur ein schönes negatives Moment für das
Drama; in dieser tritt sie trotz dieser Wirkung in realistischen Zu-
sammenhang mit demselben. Auf dieser merkwürdigen Eigenschaft
beruht der Drang nach Verbindung des Dramas mit Musik: sie ist
die Verkörperung des dithyrambischen Charakters desselben, welcher
in dessen Urformen eine hohe Geltung hatte und in jedem grossen,
idealistischen Drama heute noch hat.
Ohne Frage kann man das Drama der Musik unterordnen. Dann
wird dasselbe allerdings etwas wie eine Verallgemeinerung seines In-
1) Dadurch bestätigt die Musik die Thatsache, dass dem Ideal (185 Merkmal
des Negativen sehr nahe liegt. Maskenlaune, sagt Semper einmal, ist die Gründ-
stimmung aller Kunst. Sie widerlegt darum aber nicht etwa die begriffliche Ver-
schiedenheit des Idealen, Schönen und des bloss Vor-gestellten, Ideellen. Wenn
R. Wagner gleich anderen die beiden Begriffe zusammenwarf, so lag der Grund da.-
für eben in dieser Eigenschaft der Musik, realistisch und negativ zugleich wirken zu
können. Aber es kommt nur darauf an, ob er für das Musikdrama das Richtige
getroffen hat, und dies ist gewiss der Fall. (Ylergl, Ges. Schriften, Bd. IX, S. 176.)
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