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DIE
VERBINDUNG
DER
MUSIK
MIT
ANDEREN
KUNSTARTEN.
diese Bedingung nicht erfüllt. So z. B. stehen sich in dem Quintett
im dritten Aufzug der "Meistersinger" zwei Gruppen gegenüber, deren
ausgesprochene Gefühle sich schlechterdings nicht vereinigen lassen.
Man muss die untergeordnete, David und Magdalena, lediglich als ein
musikalisches Instrument betrachten, welches keine Aufmerksamkeit
für sich beanspruchen darf. Aber auch Eva, Walther und Sachs sind
unter sich nicht einig. Angesichts der hohen musikalischen Schönheit
des Quintetts wollen wir uns trotz der Verschiedenheit der Texte mit
der Erklärung zufrieden geben, dass diese Personen wenigstens in
Bewunderung der "seligen Morgentraumdeut-Weise" und in einer
musikalischen Feier derselben zusammentreffen. Keiner der Texte
dominiert jedoch in seiner musikalischen Gestalt mit der Deutlichkeit,
welche hierfür erwünscht wäre und das ganze Musikstück fallt zweifel-
los aus der Stileinheit des Musikdramas heraus. Der Kanon im I. Akt
des "Fidelio": „Mir wird so wunderbar" (HuIunderbangW schreibt
Marx) ist dramatisch besser, weil die zur ersten hinzutretenden Stimmen
sich in die dominierende Gefühlsäusserung der Marzelline einordnen;
dagegen stehen wir auch hier nach wenigen Takten in einem Musik-
stück, welches dem schon Ausgesprochenen nichts hinzufügen kann
und im Drama eine heterogene Sache ist, indem es als Musikstück
genossen sein will.
Das Melodrarn wirkt dadurch ganz unkünstlerisch, dass der
Tonfall des gesprochenen Wortes Harmonie und Rhythmus der Musik
fortwährend durchbricht. Der Schauspieler mildert diesen Fehler,
wenn er, wie ein gefeierter Künstler in Byrons Manfred bei der
Schumann'schen Musik zu thun pflegte, der Melodie im Tonfall der
Sprache etwas nachgiebt; hierdurch entsteht aber ein in anderer Rich-
tung unerquicklicher Eindruck. An die Stelle einer einheitlichen musi-
kalischen Vertiefung des Inhaltes der Dichtung treten abwechselnd
Deklamationsteile und musikalische, häufig tonmalerische Illustratio-
nen bedenklicher Gattung, wie z. B. in den Hebbel-Schumandschen
Deklamationsballaden. Der Gebrauch dieser Kunstform kann also nicht
gebilligt werden. Die Griechen haben ihr jedoch, nach Westphal,
eine häufige Anwendung verstattet. Vorn Melodram zu unter-
scheiden ist eine im realistischen Drama zufällig ertönende Musik, wie
dies z. B. beim Monolog der johanna im 4. Aufzug der Jungfrau
von Orleans" der Fall ist.
Mit der Anerkennung des Musikdramas sind wir zu einer Kunst-
form gelangt, welche sogar mit Rücksicht auf den Wunsch einer Ver-
einigung aller existierenden Kunstarten Gesamtkunstwerke liefern kann.
Nur idealistische Dramen werden Musikdramen sein können; im rea-