III.
DIE
VERBINDUNG
DER
MUSIK
MIT
ANDEREN
KUN STARTEN
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wird, was hier allerdings der Fall ist, oder nicht. Wenn Leonore-
Fidelio singt: S0 leuchte mir ein Farbenbogen, der hell auf
dunkeln Wolken ruht," und dazu „duftig schimmernde Harmonien in
den hochliegenden Bläsern glänzen" (Marx), so entspricht diesem Ge-
mälde kein objektiver Laut; und doch ist man versucht, von Ton-
malerei zu sprechen. Der "Walkürenritt" dagegen giebt ein realisti-
sches Tongemalde vorn objektiven Schwirren und Brausen des
Wettersturms. XVir hören darin im vorliegenden Falle auch das
jauchzen der NValküren und den galoppierenden Hufschlag ihrer Rosse,
welcher in bestimmten, aus der Stileinheit der ganzen Musik des
Dramas heraus gestalteten Formen festgelegt ist. Wenn nicht, wie
hier, das tonmalerische Element nur das Vehikel des Empiindungs-
gehaltes bildet, vielmehr eine direkte Nachahmung von Naturgeräuschen
beabsichtigt wird, so ist dies durchaus unmusikalisch und daher ver-
Werflichf)
Chöre, in Welchen mehrere Personen gleichzeitig einen ver-
schiedenen Gefühlsinhalt aussprechen, könnten nur dadurch ge-
rechtfertigt sein, dass der letztere aus realistischem Gesichtspunkte
wirklich wirr und widerspruchsvoll erscheinen und nur in diesem Re-
sultat erkennbar sein sollte, z. B. bei einem Volksauflauf. Terzette,
Quintette etc. sind dagegen sehr wohl möglich, wenn die singenden
Personen in der von ihnen ausgesprochenen Empfindung
einig sind; denn nur dieser einen Empfindung können wir in ein und
demselben Moment Aufmerksamkeit schenken, weil wir sie nachempfinden
müssen. Der Kontrapunkt ist dramatisch nur in jenem Fall verwertbar.
Wenn von Zweien der Eine singt: „Darf ich in jenem Wahn noch
schmachten, dass sich ein Engel mir erweicht?" und der Andere: „Die
ihn an diese Küste brachten, Ihr Winde, sollt gesegnet sein!" so müssen
wir entweder dem Einen oder dem Anderen zuhören. Das Duett der
alten Oper ist als solches dramatisch häufig unmöglich und ein blosses
Musikstück, welches im Drama nichts zu suchen hat. Wollte man
neben den Reden auch noch einen inneren Zusammenhang der Musik
verfolgen, so entstände ein wahres Monstrum von Kunstgenuss. Wenn
dagegen mehrere Sänger einen gleichen Gefühlsinhalt auszusprechen
haben, so_ ist eine polyphone Vokalmusik durchaus zulässig. Wagner
ist hier theoretisch zu weit gegangen; aber er hatte bisweilen praktisch
I) Vergl. Schopenhauer a. a. O. I, S. 311. Er verwirft die Tonmalerei, wie sie
in sog. "Bataillenstücken" stattfindet. In der That ist die bekannte Saro'sche Schlacht-
musik eines der besten Beispiele für die direkte Nachahmung durch Musik. Doch
ist dabei ja nicht mehr als eine Volksbelustigung beabsichtigt.
Alt, System der Künste. I!