Volltext: System der Künste

III. 
DIE 
VERBINDUNG 
DER 
MUSIK 
MIT 
ANDEREN 
KUNSTARTEN. 
159 
Weil die Musik bezüglich des besonderen Gefühlsinhalts stumm 
ist, so wird sie dem Wort eine willige Dienerin sein sollen; sie wird 
ihren Lohn darin finden, dass sie uns, wie das Weib, durch ihr selbst- 
loses Dienen nur um so verehrungswürdiger erscheint. So ist das 
Verhältnis von Richard Wagner aufgefasst worden. Sein Brief „Über 
Franz Liszts symphonische Dichtungen" lässt keinen Zweifel darüber 
aufkommen, dass er der eigentlichen "Programmmusik" prinzipiell ab- 
geneigt gewesen ist. Er verwarf die Ouvertüre, welche bis dahin gar 
nicht angefochten worden war; sofern sie Programmmusik ist, zweifel- 
los mit Recht, nicht minder, soweit sie .Melodien der erst darauf- 
folgenden Oper verwendet. Denn in beiden Fällen wird ein innerer 
Zusammenhang mit der Oper beansprucht, welcher schlechterdings 
vom Hörer der Ouvertüre nicht wahrgenommen werden kann und ihm 
völlig unverständlich ist. Köstlin 1) möchte die Ouvertüre dadurch 
retten, dass er an Stelle einer Inhaltsanzeige oder eines "Extrakts" 
ein "Analogon" verlangt; allein hier wäre doch wieder ein Programm 
vorausgesetzt, welches wir nicht besitzen. „Musikalische Einleitung" 
ist der einzig haltbare Zweck der Ouvertüre, aber dieser reicht auch 
aus, um sie vollständig zu rechtfertigen: sie ist die Treppe, welche 
aus dem Treiben der Alltäglichkeit zum Tempel des Dramas empor- 
führt und uns Frist zur Sammlung und zum Eintritt in eine feierliche 
Stimmung gewähren soll. Deshalb ist auch ein grösserer Aufwand 
von formaler Musik hier wohl gerechtfertigt: die Egmont-Ouvertüre 
z. B., in ihrem etwaigen Programm zum grossen Teil unfassbar, erfüllt 
jenen Zweck ganz ausgezeichnet. 
Die Unthunlichkeit der Anwendung des Programms ist der Grund 
der Verfehltheit der eigentlichen Programmmusik. Der mimische Tanz 
der Alten repräsentiert genau dieselbe Form des Kunstgenusses; aber 
praktisch waren dieselben hier in besserer Lage, weil der Gegenstand 
des Kunstwerkes, der Verlauf der Schicksale einer Person in seinen 
Phasen, dem allgemein bekannten Mythos entsprechend in notwendiger 
Abfolge vor sich ging. jedenfalls besteht ein spezifischer Unterschied 
zwischen der Programmmusik und der Musik zum Drama, welch letz- 
terer das Programm in jedem Moment ihrer Entwickelung deutlich 
gegenübersteht. Dieser Unterschied ist enorm, so äusserlich er er- 
lich formellen Musik die ideale Gestalt dieser Kunst erblickt, in der Architektur aber 
umgekehrt das Überwiegen des formellen Elements Zurückweist. Wir pflichten ihm 
darin ja auch beclingungsweise bei. Es zeigt sich aber hier recht deutlich, wie sich 
die Vergleiche von Architektur und Musik durchkreuzen. 
I) Bei Vischer S 814. 
	        
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