III.
DIE
VERBINDUNG
DER
MUSIK
MIT
ANDEREN
KUNSTARTEN.
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Weil die Musik bezüglich des besonderen Gefühlsinhalts stumm
ist, so wird sie dem Wort eine willige Dienerin sein sollen; sie wird
ihren Lohn darin finden, dass sie uns, wie das Weib, durch ihr selbst-
loses Dienen nur um so verehrungswürdiger erscheint. So ist das
Verhältnis von Richard Wagner aufgefasst worden. Sein Brief „Über
Franz Liszts symphonische Dichtungen" lässt keinen Zweifel darüber
aufkommen, dass er der eigentlichen "Programmmusik" prinzipiell ab-
geneigt gewesen ist. Er verwarf die Ouvertüre, welche bis dahin gar
nicht angefochten worden war; sofern sie Programmmusik ist, zweifel-
los mit Recht, nicht minder, soweit sie .Melodien der erst darauf-
folgenden Oper verwendet. Denn in beiden Fällen wird ein innerer
Zusammenhang mit der Oper beansprucht, welcher schlechterdings
vom Hörer der Ouvertüre nicht wahrgenommen werden kann und ihm
völlig unverständlich ist. Köstlin 1) möchte die Ouvertüre dadurch
retten, dass er an Stelle einer Inhaltsanzeige oder eines "Extrakts"
ein "Analogon" verlangt; allein hier wäre doch wieder ein Programm
vorausgesetzt, welches wir nicht besitzen. „Musikalische Einleitung"
ist der einzig haltbare Zweck der Ouvertüre, aber dieser reicht auch
aus, um sie vollständig zu rechtfertigen: sie ist die Treppe, welche
aus dem Treiben der Alltäglichkeit zum Tempel des Dramas empor-
führt und uns Frist zur Sammlung und zum Eintritt in eine feierliche
Stimmung gewähren soll. Deshalb ist auch ein grösserer Aufwand
von formaler Musik hier wohl gerechtfertigt: die Egmont-Ouvertüre
z. B., in ihrem etwaigen Programm zum grossen Teil unfassbar, erfüllt
jenen Zweck ganz ausgezeichnet.
Die Unthunlichkeit der Anwendung des Programms ist der Grund
der Verfehltheit der eigentlichen Programmmusik. Der mimische Tanz
der Alten repräsentiert genau dieselbe Form des Kunstgenusses; aber
praktisch waren dieselben hier in besserer Lage, weil der Gegenstand
des Kunstwerkes, der Verlauf der Schicksale einer Person in seinen
Phasen, dem allgemein bekannten Mythos entsprechend in notwendiger
Abfolge vor sich ging. jedenfalls besteht ein spezifischer Unterschied
zwischen der Programmmusik und der Musik zum Drama, welch letz-
terer das Programm in jedem Moment ihrer Entwickelung deutlich
gegenübersteht. Dieser Unterschied ist enorm, so äusserlich er er-
lich formellen Musik die ideale Gestalt dieser Kunst erblickt, in der Architektur aber
umgekehrt das Überwiegen des formellen Elements Zurückweist. Wir pflichten ihm
darin ja auch beclingungsweise bei. Es zeigt sich aber hier recht deutlich, wie sich
die Vergleiche von Architektur und Musik durchkreuzen.
I) Bei Vischer S 814.