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III.
DIE
VERBINDUNG
DER
MUSIK
MIT
ANDEREN
KUNSTARTEN.
dass der dramatische Vorgang mitunter keinen vollwertigen Stoff für
eine Musik bietet, welche auf die Darstellung des konkreten Empfin-
dungsgehaltes ausgeht. Indessen scheint mir die dramatische Musik die
volle Elastizität zu besitzen, um, wie wir es beim Lied gezeigt haben, auf
eine allgemeinere Melodie zurückzugeben. Diese Schwierigkeit ist
naturgemäss allen Musikdramen mit durchgehender Musikbegleitung
gemeinsam; ich sehe gerade das Verdienst der Wagnefschen Stilform
darin, dass sie dieselbe am meisten, ja vollständig überwunden hat.
Bei Mozart traten aus der gleichen Veranlassung neben grossartige
dramatische Leistungen in umfangreichem Masse formal-thema-
tische Musikstücke, Welche notwendig ein unklares Hin- und Her-
schwanken des Hörers zwischen musikalischem und dramatischem
Genuss veranlassen müssen. Die Mischoper, in der das gesprochene
und das gesungene Wort abwechseln, ist von vornherein besser daran.
Was Marx (vergl. dessen "Beethoven" I, S. 318 Anm.) von derselben
sagt: sie sei „Halbheit und ein grundsatzloses Unding; das Idiom der
wahren Oper sei Musik; wenn einmal die Sprache der Wesen, die vor
uns auf der Opernbühne leben, Musik sei, so möge kein gesprochenes
Wort uns aus dem phantastischen Traume erwecken, wir würden sonst
allen Glauben verlieren" ist nicht zutreffend. Eine Gliederung, in
gesprochene und gesungene Reden, wäre sehr wohl zulässig, wenn sie
nicht prinziplos, sondern systematisch geordnet auftreten würde. Allein
das ist eine stark negative Stilform, welche wir als solche abgelehnt
haben. I)
I) Ein berühmter Geschichtsschreiber der bildenden Künste hat neulich R.Wa.g-
ner mit Bernini verglichen. Solche Vergleiche sind immer misslich. Der vorliegende
beweist für mich nur die sehr architektonische Richtung jenes Gelehrten. Wagner
hat keine Symphoniemusik gemacht, sondern Musik zum Drama; er muss allein auf
diesem Gebiete beurteilt werden. Im Übrigen würde ich den Vergleich mit Michel-
angelo vorziehen, der letztere würde etwas Ähnliches, wie Lübke beabsichtigt, ent-
halten und im Ganzen zutreKender sein.
Bemerkenswert ist, dass die Musik gerade damals ihre grösste Ausbildung er-
fuhr, als in der Architektur durch den Rococosti] das ideelle Moment in den Hinter-
grund gedrängt wurde. Auf diesem Boden erwuchs die Blüte der formellen Musik,
sie gehört ihrem innersten Wesen nach in die Zeit jenes Baustils. Die Mozart.
Beethovemsche, die Schubert-Schumanrfsche ideelle Musik fallt in eine spätere Periode;
es besteht kein Streit darüber, dass diese Musik die höhere ist. Für Lübke war
gerade die verschärfte Betonung des ideellen Moments der Musik durch NVagner der
Anlass zu seinem Vergleich desselben mit Bernini; und doch missbilligt er Bernini
deshalb, weil dieser den Rococostil in Skulptur und Architektur anbahnte. Die
Erklärung des scheinbaren Widerspruchs liegt darin, dass Lübke in der wesent-