III.
DIE
VERBINDUNG
DER
MUSIK
MIT
ANDEREN
KUNSTARTEN.
1.57
band für das Musikdrama geschaffen zu haben, wie ihn das Verhältnis
von Vor- und Nach-Thema, Zurückkehr, Wiederholung und Koda im
Symphoniesatz erzeugt, so kann man dem nicht wohl beipflichten.
Denn das Auftreten der Motive ist ganz durch den Inhalt des Dramas
bedingt und findet daher völlig ordnungslos statt; die Einheit des
Kunstwerks liegt, abgesehen vom Stil der Musik, nur im Drama und
die Wiederholung eines Motivs, wodurch es erst „Leit"-Motiv werden
kann, ist demselben keineswegs von vornherein sicher. jedoch ist die
associatorische Kraft eine so wesentliche Eigentümlichkeit der Musik,
dass eine Wiederkehr der Motive in jedem Falle selbstverständlich
wird, wo die Erinnerung an den durch sie erstmals bezeichneten Inhalt
naturgemäss stattHndet. Deshalb werden die meisten Motive sich
wiederholen; aber eine organische Verbindung, wie sie durch ihre
Benennung als "Leitmotive" angedeutet wird, bewirken sie dadurch
doch nicht, und es kann darauf auch gar nicht ankommen.
Man hat an dem vollendeten Stil Wagners die "Langen" gerügt.
Wenn zugegeben ist, dass solche Längen bestehen, so möchte man
dieselben vielleicht zurückführen auf das Fehlen von Ruhepunkten, wie
sie die Cäsuren und Abgesänge der Melodien in der alten Oper ge-
währten. Allein der Verdacht liegt nahe, dass bei einem solchen
Urteil unsere Bequemlichkeit und Gewohnheit stark beteiligt wäre.
Davon ist auch bei voller Verständlichkeit der Sprache des Sängers,
im Bayreuther Theatersystem, nichts zu spüren, und das Dominieren
der Rede muss gefordert werden und ist geleistet worden. Es be-
stehen wirkliche Längen, aber nicht durch die Stilform, sondern
durch eine sich unleugbar an manchen Stellen geltend machende Weit-
schweiligkeit der dramatischen Dichtungen, mitunter auch durch ein
Sichgehenlassen der musikalischen Meisterschaft. 1)
Einen Missstand könnte man-möglicherweise auch darin Enden,
I) Dabei lässt sich jedoch manches entschuldigen, wie die grosse Erzählung
Wotans im zweiten Aufzug der Walküre, welche bei gesonderter Aufführung dieses
Werks zum Verständnis erfordert ist. Ähnlich kann man die Nornenszene im Vor-
spiel der "Götterdämmerung" beurteilen, doch lässt sie sich m. E. nur durch die
Berücksichtigung ihrer hohen stimmungerzeugenden Kraft rechtfertigen. Und der-
gleichen mehr. Es sei mir gestattet, obgleich wir uns ja nicht mit Wagner, sondern
mit dem Musikdrama beschäftigen, hier anzumerken, dass ein weiterer dramatischer
Mangel, welcher den Genuss des Nibelungenrings beeinträchtigt, auf Rechnung einer
philosophischen Tendenz zu stellen ist, welche sich in der Gestalt Worans per.
soniiiziert hat. Die Grösse und Schönheit der einzelnen Tragödien leidet darunter
nicht.