Volltext: System der Künste

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DIE 
VERBINDUNG 
DER 
MUSIK 
MIT 
ANDEREN 
KUN STARTEN. 
Es bedurfte höchster Meisterschaft, um musikalisch so zu ge- 
stalten: aus der Fülle des Wohllauts, in unabsehbarem Reichthum und 
vollendeter Realisierung des Inhalts, wie ihn das Drama mit sich 
brachte, in absoluter Homogenität, Einheit des Stils; es war ein ge- 
nialer Wurf, für die dramatische Musik die bisherige Reihenfolge von 
liedartigen Melodien durch Zerlegung in zwei polare Elemente, kurze 
und abgekürzte Melodien ("Motive") einerseits und eine „unend_ 
liche Melodie" andererseits zu einem einzigen Guss zu verschmelzen 
und das nur als konventionelle Stilform begreifliche und als Lücken- 
büsser auftretende Recitativ der alten Oper durch den Sprechgesang 
zu ersetzen; 'unter den gegebenen Verhältnissen enthielt er die einzig 
mögliche Lösung. Denn einen konventionellen Stil von der Art, dass, 
wie im hellenischen Drama, eine klare, systematische Teilung in ge- 
sprochene und musikalische Reden stattfinden könnte, fand Wagner 
nicht vor, sondern man beabsichtigte eine durchgängige Musikbeglei- 
tung. Im modernen Musikdrama wirkte dabei derselbe Trieb, welcher 
die moderne Entwickelung der Erscheinung des Dramas charakteri- 
sierte: dort musste notwendig die höchste Leistung in der Realität der 
Erscheinung erzielt werden, nachdem man einmal zur naturalistischen 
Darstellung des Räumlichen vorgeschritten war; dem entsprach in der 
Oper eine gleichfalls möglichst weitgehende Befreiung des dramati- 
schen Inhalts von der Beschränkung durch die Musik?) Dies war 
die gegebene Bedingung, unter welcher Wagner gearbeitet, und das 
Problem, welches er gelöst hat. Anders war das Musikdrama in einer 
wahrhaft befriedigenden Form für uns überhaupt nicht zu verwirklichen. 
Im Drama konnte aber nun die musikalische Architektonik bleibend 
nur die Bedeutung haben, dass sich mit ihrer Hülfe ein weit über jede 
Vorstellung der Antike hinaus vertiefter geistiger Inhalt mit gewaltig 
ausgebildeter Dynamik verkörpern liess. 
Wagner hat den Gegensatz zwischen der dramatischen und der 
selbständigen Musik ziemlich ebenso aufgefasst, wie wir. 2) Wenn er der 
Ansicht war, in den "Leitmotiven" einen ähnlichen technischen Ver- 
1) Wagner verfolgte eine durchaus realistische Tendenz, ohne sich im Ge- 
ringsten durch die schon in der Verwendung von Musik zum Drama notwendig be- 
dingte Negation der Realität desselben beirren zu lassen. 
Was ich bei Besprechung des Dramas über den inneren Widerspruch zwischen 
den Bestrebungen Friedrich SChöns und seiner wagnerianisehen Gesinnung gesagt 
habe, wird nun ganz einleuchten. Denn er verlangt in der That Strengere Stil. 
formen. 
2)Verg1. z. B. Bayreuther Blätter Jahrgang 1879, II. "Über die Anwendung 
der Musik auf das Drama."
	        
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