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DIE
VEREIN D UN G
DER
MUSIK
MIT
ANDEREN
KUNSTARTEN.
wo es andererseits einen allgemeinen Gefühlsinhalt und wo es einen
besonderen momentan aufnimmt, worauf im einzelnen Fall die Ge-
fühlserregung durch die Melodie oder ihre Modifikationen beruht,
das wird sich sehr häufig einer klaren Beschreibung entziehen. Man
muss dabei stets davon ausgehen, dass, thatsächlich, auch eine bloss
formale Melodie mit der Rede verbunden werden kann und dass die
erstere in Momenten, wo die letztere keinen musikalischen
Stoff bietet, als das Netz des lyrischen Einschlags die Lücke
formell musikalisch ausfüllen wird. Zwischen den in Betracht
kommenden beiden Arten der musikalischen Dichtung, dem blgssen
Parallellaufen von Rede (Strophe) und Musik und der inneren Ver-
bindung beider durch Empfindung, sind beliebige Varianten möglich.
Um sich das Verhältnis klar zu machen, benütze man irgend ein
strOphiSCh weniger strenges Lied und suche die Punkte auf, wo die
besondere Empfindung in die gefühlsfreie oder allgemein gestimmte
Melodie modinzierend eintritt. Man. bemerke dabei noch, dass oft
schon die blosse Veränderung auf das Eintreten eines neuen Moments
hindeutet, welches an sich vielleicht eines musikalischen Ausdrucks
nicht fähig ist. 1)
I) Um dem Beispiel Hanslicks ein solches aus dem Gebiete der nachahmen-
den Musik gegenüberzustellen, sei das Lied „Abends am Strand" von Schumann
gewählt.
_Ein Präludium von vier Takten stellt die musikalische Basis des Liedes dar,
welche den allgemeinen Gefühlsinhalt desselben: "Wir sassen am Fischerhause und
schauten nach der See in Wogenschwellen und Abenddämmerung zur Darstellung
bringt. Mit dem Durchbrechen der Bemerkung eines besonderen Vorgangs („Die
Abendnebel kamen und stiegen in die Höh") muss in dieses Thema eine Modifika-
tion eintreten. Aber die Basis dominiert noch. Erst wenn die Lichter im Leucht-
thurm angesteckt werden, zieht dieser Vorgang des allmählichen Aufflammens unsere
Blicke stärker auf sich, worauf wir wieder in das allgemeine Däxnmern der Grund-
melodie zurückversinken. Dass wir durch die Musik allein die Verstellung des
Aufflammens von Lichtern erhalten sollten, ist freilich undenkbar; aber hier ist sie
durch den Text sichergestellt. Ein in der Ferne auftauchendes Schiff weckt hierauf
die Erinnerung an Sturm und Schiffbruch, deren Empiindungsgehalt der Tondichter
in abgerissenen Stössen in die Melodie einführt. Die letztere wird durch mitunter-
laufende Wiederholung der rhythmischen Figur des Themas in ihrem Zusammenhang
festgehalten und im breiten Abgesang dieser Doppelstrophe („Wir sprachen von
fernen Küsten seltsamen Sitten dort") wieder deutlicher aufgenommen. Der Ab-
gesang schliesst aber nicht, sondern drückt in einer aufwärtssteigenden Wendung
des Melos den Hinweis auf eine nähere Schilderung der fernen Länder aus, welcher
Hinweis in der Redeschrift durch das Zeichen des Doppelpunktes angedeutet wird.
In einem Zwischenspiel setzt sich dieser Aufstieg bis dahin fort, wo das Präludium
der Schilderung selbst eintritt. Weil wir nunmehr der letzteren alle Aufmerksamkeit