DIE
VERBINDUNG
DER
MUSIK
MIT
ANDEREN
KUNSTARTEN.
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fühlsinhalt der Musik, welche sie begleitet, und stellt ihn
fest; es bedarf gar keiner weiteren Aufmerksamkeit, um zugleich mit
dem Hören des Wortsatzes oder mit dem Anschauen einer Begeben-
heit deren musikalischen Inhalt zu fühlen. Nunmehr kommt es ledig-
lich darauf an, dass die Musik dem angegebenen Gefühlsinhalt in
Wahrheit entspreche, d. h. dass sie dem Prinzip des Realismus ge-
nüge. Wenn ältere Meister, wie Mozart, möglichst bei den allgemei-
nen Stimmungen geblieben sind, welche die Beibehaltung umfang-
reicherer liedartiger F ormen-nötig machen, so beweist dies nichts gegen
die Möglichkeit einer konkreteren Gestaltung der Musik in Lied und
Drama. Dass aber die Behauptung, die Gebilde der Musik dürften
nur als Tonarabeske genossen werden, angesichts ihrer ganzen Ge-
schichte, angesichts des Verhaltens aller grossen Tondichter ein Publi-
kum finden konnte, wäre nicht begreiflich, wenn man sich nicht daran
erinnerte, dass sie die Unübertrefflichkeit verehrter älterer Meister zu
beweisen schien. Das eigentliche "Musikalisch-Schöne" ist nicht der
künstliche Organismus der Musikstücke, sondern der Wohllaut, der
„in der Saiten Gold schläft," wie die schöne Färbung das spezifisch
Schöne der Farbenkunst ist.
Wir haben anerkannt, dass die Musik neben einem Gedicht zum
Ausdruck höchst konkreter Gefühle fortschreiten kann. Wenn sie dies
aber thut, so begiebt sie sich auf -ein Gebiet der Freiheit, wo die
Wiederholungen und Transformationen, welche den Zusammenhang
der Musikstücke bedingen, immer mehr bei Seite geschoben werden
müssen. Daher stehen wir jetzt vor der F rage: „lst die thematische
Gebundenheit eine notwendige Eigenschaft aller Werke der Musik, oder
nicht, und kann sie dieselbe zu Gunsten eines Gedichts, welches sie
begleitet, aufgeben, oder giebt sie damit ihr Wesen selbst auf?" Diese
Frage der "Melodie," den Kernpunkt des Wagnerstreites, hat Hanslick
nicht formuliert; er konnte sie gar nicht stellen, weil er die Ausdrucks-
fähigkeit der Musik ganz und gar leugnete.
Köstlin bei Vischer (S 792) fordert „Gleichgewicht des Inhalts
und der Form" als „Gesetz des musikalischen Stils." Er bringt jedoch
keinen Beweis dafür bei, dass dieses Gesetz nicht ganz willkürlich
statuiert sei; und das ist sehr misslich, denn der Gefühlsinhalt und die
formelle Ordnung der Musik haben gar nichts miteinander zu thun,
sie sind völlig inkommensurabel; letztere kann bestehen ohne jenen
und jener kann lückenhaft in ihr auftreten, ohne dass hiergegen irgend
ein Gesetz angeführt werden könnte. Aber die blosse, von WVorten
nicht begleitete Musik kann nicht wohl bestehen ohne eine feste Ord-
nung ihres Verlaufs, weil sie im anderen Fall überhaupt zu einem