Volltext: System der Künste

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DIE 
VERBINDUNG 
DER 
MUSIK 
MIT 
ANDEREN 
KUNSTARTEN. 
angenommenes F ormprinzip oder als unabsichtliche Äusserung der 
Individualität des Meisters, einer Vertauschung der Sätze aus einer in 
die andere Tondichtung in vielen Fällen entgegenstehen. Eine innere 
Einheit wird jedoch erst geschaffen durch einen geistigen Zusammen- 
hang, sie gründet sich z. B. in der Eroika, der Pastoralsymphonie u. s. w. 
auf den Gegenstand der Darstellung. Dass Tondichtungen wie die 
Leonorenouvertüre ganz im Sinne der Programrnmusik aufgefasst 
werden müssen und andernfalls überhaupt nicht Verstanden werden 
können, kann man nicht wohl mehr leugnen, ohne den Verdacht ein- 
facher Unwissenheit zu erwecken. Aber wenn uns jede wirklich be- 
deutende Symphonie in ein Meer von Einzelempiindungen stürzt, in 
welche jene grossen Grundstimmungen sich differenzieren, so bleibt 
uns trotz des sehr umfangreichen Programms, welches in einem blossen 
Titel, wie den angeführten, liegen kann, im einzelnen doch verschlossen, 
ob sie denn auch die vom Komponisten beabsichtigten seien. Wir 
werden zwar von der Gesamtstimmung eines Musikstücks, auch von 
bestimmten Modifikationen derselben, nicht aber von Einzelheiten mit 
objektiver Deutlichkeit ergriffen, die bloss als Eigenschaften mit dem 
Begriff zusammenhängen, wie z. B. das Schwanken mit der Welle. 
Daher ist und bleibt die Musik bezüglich ihres besonderen 
Gefühlsinhalts stumm, „sie kann nur zwecklos erregen, nicht be- 
stimmen" (Wagner), solange nicht das gesprochene Wort hin- 
zutritt. 
Damit haben wir den eigentlichen Angelpunkt des Streites um 
die Ausdrucksfähigkeit der Musik erst berührt. Dass die Musik in 
gewisser Beziehung unselbständig ist, das wollen eifrige Verehrer 
dieser Kunst nicht zugeben; sie opfern lieber den geistigen Inhalt der- 
selben ganz, um es nicht zugeben zu müssen. Andere behaupten im 
Gegenteil, dass sie auch den besondersten Gefühlsinhalt vollkommen 
deutlich unmittelbar und selbständig auszudrücken vermöge. Das 
kann sein, für höher organisierte Wesen, vielleicht auch einmal für 
Menschen; praktisch ist es zur Zeit nicht der Fall. Es wäre jetzt 
ebenso falsch, wenn wir das gesprochene Wort bei der Nachahmung 
durch Musik schlechthin als unentbehrlich betrachten würden, wie wenn 
wir es mit Schopenhauer als ganz überflüssig ansehen wollten. All- 
gemeine Stimmungen vermittelt die Musik ohne Zweifel mit voller 
Klarheit, auch wenn sie von Worten nicht begleitet ist; den lyrischen 
Inhalt konkreter Vorstellungen aber kann sie nur unter Mitwirkung 
der Sprache deutlich machen. 
Im Drama wie im Gedicht ist ja nun aber das gesprochene Wort 
schon da: die Dichtung interpretiert den besonderen Ge-
	        
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