DIE
VERBINDUNG
DER
MUSIK
MIT
ANDEREN
KUNSTA RTEN.
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seiner Freude über das Wiederfinden einer verlorenen Geliebten Aus-
druck verleihen würde, immer wie ein sehr trauriger Liebhaber vor-
gekommen. Bach, Händel, Haydn, Mozart, Beethoven haben vielfach
bloss formale Musik geschaffen. Ob aber in einer wirklich grossen
Bach'schen Fuge kein Gefühl zum Ausdruck gelangt, das dürfte noch
zu prüfen sein. Dass dieses Gefühl ein ganz allgemeines, dass es
mit einem verhältnismässig sehr grossen Aufwand von formaler Musik
erzielt ist, könnte füglich zugegeben werden. Die Fuge wird vor
allem der religiösen Stimmung dienen, dadurch, dass in ihr eine ein-
zige Empfindung von Massen monumental ausgesprochen wirdf)
Dem gegenüber kommt nicht weiter in Betracht, dass dasselbe Gefühl
durchHunderte von verschiedenen Fugen erzeugt werden kann. Diese
Möglichkeit der unendlichen Verschiedenheit des formalen Gebildes
bei gleichem Gefühlsinhalt ist jedoch eine wichtige Thatsache für die
Erkenntnis des Wesens der Musik.
Die subjektiven Gemütsbewegungen, welche die Musik auf Seite
derlHörer veranlasst, sind offenbar an sich dieselben, wie bei wirk-
lichen Leidenschaften. Sie unterscheiden sich jedoch von diesen durch
den Mangel einer realen Veranlassung: sie sind bloss bildliche, sie
existieren in der blossen Vorstellung, sie stehen „fern von
der Wirklichkeit und ihrer Qualf") Dass wir in der blossen Vor-_
stellung wirklich zu leiden glauben können, erklärt sich aus dem vollen
Aufgehen im Bilde unter Anticipation der Erinnerung an seine Irreali-
tat: der echte Künstler weint um Hekuba und wir mit ihm. Damit
ist auch für die Musik dieses Merkmal der nachahmenden Künste ge-
geben.
Die Einteilung der Sonate, der Symphonie lässt sich vielleicht
als eine natürliche auf die Ursprünglichkeit der Einteilung der von ihr
dargestellten allgemeinen Seelenstimmungen begründen. Allerdings
wird schon die formelle Einheitlichkeit der Behandlung, der Stil, als
I) Carriere (a. a. O. II, S. 432 ff.) und Köstlin (bei Vischer a. a. O. S 784
sind hier wesentlich gleicher Ansicht. Carriere definiert die Musik überhaupt als
"die Kunst des Gemiits und der Lebensbewegungß Nach Schopenhauer ist der
"Wille" dasjenige, W85 dHYCh die Musik unmittelbar dargestellt wird, entsprechend
der einseitigen Betonung des Wollens in seiner ganzen Lehre. Indessen veranschau-
licht die Musik keineswegs bloss Regungen des Willens, sondern alle möglichen
Regungen des Gemüts. Es ist aber wohl selbstverständlich, dass Schopenhauer hier
keineswegs den abstrakten Willen, die Weltseele, sondern konkrete Äusserungen
des Wollens im Auge hatte-
2) Vergl. Schopenhauer a. a. O. I, S. 312, II, S. 516. '