146
DIE
VERBINDUNG
DER
MUSIK
MIT
ANDEREN
KUNSTARTEN.
Temperatur noch den überwiegenden Teil ihrer Färbung behalten haben),
bleibe dahingestellt. X) Jedenfalls haben die Harmonien einen bestimmten
Empiindungsgehalt. Darüber war niemand so wenig im Zweifel, als die
Griechen, wie sich aus ihrer Einteilung der Skalengattungen ergiebt: sie
wiesen ausser Dur und Moll noch fünf weitere Tonfarbungen je einem
feststehenden Gefühlsinhalt zu. Bezüglich jener beideniauch von uns mit
einer Bezeichnung versehenen Gattungen wird es zutreffend sein, das
M011 als musikalischen Ausdruck des Verschleierten, Trüben, das Dur
als denjenigen klarer Festigkeit zu bezeichnen. (Vergl. Köstlin bei
Vischer, 5 772). Auch Hanslick muss zugeben, dass As-Dur unter
Umständen geeignet sei, eine schwärmerische, H-Moll eine „menschen-
feindliche" Stimmung zu erwecken. Letzteres wollen wir dahingestellt
sein lassen; wenn man den Groll musikalisch malen kann, so wird
dies doch nicht der Fall sein bezüglich eines Objekts, auf welches er
sich bezieht, wie es in dem Begriff Hmenschenfeindlich" enthalten ist.
Es kommt immer darauf an, dass man die Fähigkeit eines Ausdrucks
der Gefühle im einzelnen Fall richtig bestimmt.
Die Bewegung der Affekte ist das, was die Musik rhythmisch
ausdrückt. Auch dies hat Hanslick zugeben müssen. Er nennt sie
„das Dynamische" eines Affekts. Solche Gefühle können also über-
haupt nachgeahmt werden, sei es auch nur ganz allgemein und über
eine grössere Strecke des formalen Gebildes hin. Ferner kommt ein
wichtiges Moment zu dieser Darstellung hinzu in den mächtigen Unter-
schieden der Kraft des Ausdrucks, welche wenigstens die moderne
Form der Musik ermöglicht. Wenn z. B. nach vorausgegangener
Selbstbeherrschung der Zorn eines Menschen gewaltig losbricht, so ist
dies hochdramatisch; wenn nun die Musik denselben Vorgang beglei-
tend illustriert, so kann der Eindruck desselben weit über die Kraft
des gesprochenen Wortes hinaus gesteigert werden. Es wäre vielleicht
besser, hier von Dynamik zu sprechen.
Während die Dichtkunst beim Ausdruck einer Empfin-
dung sich auf die „mitre1barste Erkenntnisweise," nämlich
diejenige durch Begriffe, beziehen muss, veranschaulicht die
I) Vergl. hierüber Mariü „Gluck und die Oper" II. Anhang). Der Charakter
von Farben unterscheidet sich vom Charakter der Tonarten in dem überaus wesent-
lichen Punkt, dass jener für die (nachahmende) Malerei ästhetiSCh gleichgültig ist,
dieser für die (nachahmende) Musik von höchster Wichtigkeit wäre. Ein Charakter
der Farben existiert übrigens und begründet eine Symbolik, welche aber durchaus
konventioneller Natur ist.